Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

Hinsichtlich der strategischen Bahnen will ich, ohne in Details ein¬ 
zugehen, nur erwähnen, daß die Legung des zweiten Gleises auf der 
venetianischen Hauptbahn vorläufig nur bis Treviso erfolgt ist und daß 
bezüglich einzelner strategischer Bahnen im Norden Italiens die Regierung 
bisher, angesichts der sich dabei geltend machenden widerstreitenden 
regionalen Interessen, noch keine endgültige Entscheidung getroffen hat. 
Bezüglich des rollenden Eisenbahnmaterials ist erst kürzlich bekannt¬ 
geworden, daß die Regierung aus Ersparungsrücksichten beschlossen hat, 
nur die Hälfte der in Aussicht genommenen Waggonanschaffungen zu 
bewerkstelligen. 
Was endlich das radiotelegraphische Netz anbelangt, so scheint mir 
dieses seiner Natur nach eine Maßregel von eminent defensivem Charakter 
zu sein. 
Alles in allem möchte ich also zu dem Schlüsse kommen, daß das 
Jahr 1912 keinen entscheidenden Wendepunkt in der Entwicklung der 
italienischen Armee und noch weniger in jener der italienischen Marine 
bedeuten wird. 
Unleugbar ist im Vergleiche mit den früheren Jahren eine gewisse 
Aktivität und ein rascheres Tempo in den italienischen Rüstungen bemerk¬ 
bar. Auch ist, wie ich der Ansicht E. E. beipflichten möchte, Italien 
hiebei von dem Streben geleitet, seine militärische Potenz höher ein¬ 
geschätzt zu sehen. Nur möchte ich den hiebei in letzterer Analyse ver¬ 
folgten Zweck zum geringeren Teile in einer Verbesserung der Chancen 
Italiens gelegentlich der Frage der Erneuerung der Tripelallianz, haupt¬ 
sächlich aber in dem Umstande erblicken, daß Italien, und zwar die 
Regierung, die Armee und Marine, das Parlament, die Presse und ein 
großer Teil der Bevölkerung, von dem italienischesten aller Gefühle: der 
Paura beherrscht, ernstlich mit der Gefahr eines Angriffskrieges von 
unserer Seite rechnet und durch eine möglichst rasche und umfassende 
Vermehrung und Entwicklung seiner Streitkräfte trachtet, dieser Even¬ 
tualität entweder vorzubeugen, oder aber ihrem Eintritte doch mit besseren 
Chancen die Stirne bieten zu können. 
Genehmigen E. E. den Ausdruck meiner Ehrfurcht. 
M e r e y.“ 
Der belehrende und hochmütige Ton, den manche Diplomaten 
anderen gegenüber als selbstverständliches Recht beanspruchten, veranlaßte 
mich zu nachfolgender Erwiderung. Auch mußte ich mich entschieden 
gegen die geringschätzigen Bemerkungen über einen Gegner wenden, den 
ich stets als sehr bedeutsamen Faktor in Rechnung stellte. 
15, Conrad II 
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