Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

sei mithin Englands vitalstes Interesse, seine Armee zu verstärken, um 
ein begehrter und kraftvoller Bundesgenosse für Frankreich zu sein. 
Zunächst scheint die englische Regierung — dies ist mein ganz 
subjektives Empfinden — dahin zu arbeiten, um Italien gefällig zu sein 
und dem Dreibund zu entfremden. Daher bereiten die häufigen Inter¬ 
pellationen wegen italienischer Grausamkeiten, Interventionen zur Herbei¬ 
führung des Friedens, Anfragen, ob der britische Konsul die Regierung 
über alle Vorgänge am Kriegsschauplatz genau informiere und über die 
britischen Interessen gehörig wache etc. etc., der Regierung sichtlich 
Unannehmlichkeiten, und Mr. Asquith wie Sir Edward Grey weichen 
jeder solchen Interpellation mit allgemeinen Redensarten aus oder lassen 
sie überhaupt unbeantwortet. Türkische Sympathien scheinen der 
Regierung sehr unangenehm zu sein, hingegen werden Nachrichten 
über den angeblichen Druck Österreichs und Deutschlands gegen jede 
Erweiterung des Kriegsschauplatzes mit großem Behagen kolportiert, bei 
der Disziplin der englischen Presse wahrscheinlich nicht ohne Einfluß des 
Foreign Office. So ist auch die Aktion einiger Abgeordneter, eine Adresse 
an die Regierung zu richten, in welcher sie aufgefordert werden soll, im 
Interesse des Friedens zu intervenieren, eigentlich gescheitert und trotz 
wiederholter Einberufung eines bezüglichen Meetings im Westminster 
Hall wurde dasselbe kaum von einigen Abgeordneten aufgesucht. 
Ein tödliches Schweigen herrscht über Ägypten. Dieses Schweigen 
scheint mir beredt und der Beweis für die große Angst zu sein, daß der 
heilige Krieg gegen die Italiener auch in Ägypten Anklang finden wird. 
Einen Ausdruck hiefür glaube ich beispielsweise in der Resolution zu 
finden, die bei dem vorerwähnten Meeting im Westminster Hall gefaßt 
wurde und wonach die Regierung aufgefordert werden sollte, mit Rück¬ 
sicht auf 80 Millionen loyaler mohammedanischer Untertanen die 
Friedensintervention ins Werk zu setzen, welche Berufung jedoch über 
Antrag mehrerer Anwesenden als »inopportun« (!) in den Beschluß nicht 
aufgenommen wurde. 
Die Entrüstung über italienische Grausamkeiten ist übrigens merk¬ 
lich abgeflaut, seitdem die Engländer sich selbst bei der Nase packen 
mußten. W. Blunt, einstiger Kriegskorrespondent und jetzt Grafschafts¬ 
rat in Sussex, veröffentlichte kürzlich seine Erinnerungen aus dem Sudan¬ 
feldzug unter dem Titel »Gordon at Khartoum«. Darin findet sich unter 
anderem folgender Passus: »Diese englischen Soldaten sind nichts wie 
Mörder! Was stellen sie eigentlich dar? Eine verrottete Schar des 
Abschaums des Diebsgesindels von Whitechapel (d. i. des vom ärmsten 
Pöbel Londons bewohnten Stadtteils).. .< Ein Sturm der Empörung 
entstand über dieses Urteil und war auch Gegenstand einer Interpellation 
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