Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

militärische Maßnahme in Italien wahrzunebmen waren und wieso es 
kam, daß Italiens Aktion in so überraschender Weise erfolgen konnte. 
Der hierauf eingelangte Bericht vom 22. November 1911 lautet aus¬ 
zugsweise : 
„Rom, 22. November 1911. 
Es steht außer Zweifel, daß man allgemein — und so auch unsere 
Vertretung — durch die plötzlichen Entschlüsse Italiens überrascht 
worden ist. 
Der Werdegang der italienischen Maßnahmen war wie folgt 
markiert: Bis 21. September dachte niemand, auch im Schoße der 
Regierung, an eine so nahe bevorstehende Aktion. 
Erst zwischen 21. und 23. September müssen Ereignisse eingetreten 
sein, welche zu den folgenden raschen Entscheidungen der Regierung 
führten; militärische Anordnungen für die Mobilisierung fanden keines¬ 
falls vor dem 23. September statt. 
Der Mobilisierungsbefehl für die Flotte wurde erst am 24. September 
dekretiert, wahrscheinlich unmittelbar nach dem überaus eiligen, an 
diesem Tage abgehaltenen Ministerrat. 
Die eigentliche Mobilisierungstätigkeit der Truppen und die 
Ergänzungstransporte begannen jedoch erst mit dem 28. als erstem 
M obilisierungstag. 
Das früheste wirkliche militärische Anzeichen für eine Expedition 
war die am 23. September erfolgte Einberufung der Klasse 88. 
Auf Grund erster Zeitungsmeldungen (waren zum Teil erfunden) 
über Truppenbewegungen wurde am 15. September der Geschäftsträger 
veranlaßt, die Konsuln* zu beauftragen, zu berichten. Nur der Konsul 
in Neapel sandte eine vage Meldung (vom 19. September) über größeren 
Truppenverkehr bei Heer und Marine. 
Dies ergibt als Resume, daß vor dem 23. keinerlei militärische 
Vorbereitungen stattfanden und auch keine militärischen Anzeichen Vor¬ 
lagen, welche auf eine nahe bevorstehende militärische Aktion Italiens 
schließen ließen. 
Italien hat sich mit der tripolitanischen Frage wieder näher zu 
beschäftigen begonnen, als Frankreich seine Marokkopolitik intensiver 
gestaltete. 
Den Entschluß zur Lösung der Tripolisfrage scheint man erst 
gefaßt zu haben, als der Gang der Marokkoverhandlungen zwischen 
Deutschland und Frankreich einen günstigen Ausgang derselben 
möglich erscheinen ließ; das war ungefähr um Mitte September. 
Damit setzte auch die Haupthetze der Presse ein, welche unum¬ 
wunden die Okkupation von Tripolis und der Cyrenaika verlangte. 
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