Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

zu binden, vielmehr scheint das Gegenteil den britischen Interessen zu 
entsprechen, d. h. den Augenblick auszunützen und einen Vorwand zu 
suchen, um sich Südmesopotamiens zu bemächtigen. Es erscheint dem¬ 
nach recht zweifelhaft, ob selbst die Überlassung von Kuweit und des 
Bahnbaues Bagdad—Persischer Golf genügen würde, um die englische 
Freundschaft für die Türkei zu erkaufen. 
Die Sache wird jedoch noch schwieriger, wenn man bedenkt, daß 
England mit Frankreich und Rußland verbündet ist und diese Staaten 
ihre Zustimmung zu einer Allianz selbstverständlich auch nur gegen 
entsprechende Konzessionen geben würden. Rußland würde Respek¬ 
tierung des Vertrages bezüglich der Bahnen im Becken des Schwarzen 
Meeres, den Balkanbund und die Adriabahn, Frankreich Bahn¬ 
konzessionen in Europa und Asien und Kontrolle der Finanzen durch 
die Ottomanbank verlangen. Daß unter solchen Bedingungen eine 
Allianz mit den Tripleententemächten doch einer Vormundschaft der 
Türkei durch dieselben gleichkäme, kann hiemit nicht zweifelhaft 
erscheinen. ; 
Erweist sich nun ein engeres Verhältnis der Türkei zu England als 
undurchführbar, so wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als doch 
wieder zu Deutschland und Österreich-Ungarn zurückzukehren und zu 
versuchen, das osmanische Staatsschiff mit Hilfe dieser Mächte über 
Wasser zu halten. Ob sich Deutschland trotz Marokko der Türkei 
gegenüber verpflichten kann, England im Falle eines Angriffes auf Meso¬ 
potamien den Krieg zu erklären, ist höchst zweifelhaft. Dagegen ist es 
möglich, daß Deutschland und Österreich-Ungarn die Türkei gegen 
Angriffe von Seite Rußlands, Italiens und der Balkanstaaten sichern und 
hiemit dem Osmanischen Reiche seinen gesamten Besitz mit Aus¬ 
nahme Südmesopotamiens garantieren. 
Allerdings wäre hiebei die überaus wichtige Finanzfrage in 
Betracht zu ziehen, von welcher die Möglichkeit einer Allianz mit den 
Zentralmächten überhaupt abhängt. Daß im Falle des Abschlusses des 
deutsch-österreichisch-türkischen Bündnisses die französische Geldquelle 
versiegen würde, kann als sicher angenommen werden; doch wäre es 
vielleicht nicht unmöglich, daß an Stelle des französischen das nord¬ 
amerikanische Kapital treten könnte. In diesem Zusammenhang dürften 
auch die Gerüchte über eine Allianz zwischen der Türkei und der Union 
aufzufassen sein, da eine Aktion der nordamerikanischen Flotte in den 
türkischen Gewässern wegen Mangels an Kohlenstationen vorläufig nicht 
denkbar ist. Wie hieraus zu ersehen, hängt die Möglichkeit einer Allianz 
der Türkei mit Deutschland und Österreich-Ungarn neben der südmesopo- 
tamischen Frage hauptsächlich von der Lösung der Finanzfrage ab, über 
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