Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

und es ist gar nicht unlogisch, daß diese einmal das dringende Bedürfnis 
empfindet, ihren Hunger an den »terre irredente« zu stillen. 
Es ist vielleicht zu viel gesagt, wenn man dieser Partei eine parlamen¬ 
tarische Majorität zuspricht; im Gegenteil, sie stellt derzeit nur eine 
Minorität vor, aber eine sehr starke und sehr tatkräftige und sehr gut 
organisierte Minorität. Und wie ja so oft in der Geschichte, haben wir 
ja auch diesmal gesehen, wie eine kräftige Minorität durch geschickte 
Schlagworte das ganze Volk zu einem Entschluß gebracht hat, der ihm 
im Grunde genommen fern gelegen ist. 
Dermaßen ist es ja ganz und gar nicht unmöglich, daß diese Partei 
eines Tages ihre Bestrebungen mit der vollen Wucht ihres Ungestüms 
gegen die nordöstliche Grenze wendet, umsomehr, als sie 
in diesem Falle gewiß die ganze Nation geschlossen hinter sich haben 
würde .... 
.... Dermalen freilich hält man sich zurück, denn in diesem Augen¬ 
blicke bedarf man ja mehr denn jemals der Sympathien in Wien.“ 
Am 18. Oktober besetzten die Italiener Horns, am 19. Oktober Derna 
und Benghasi. Indessen aber war es Neschad Bey und dem energischen 
Enver Bey gelungen, die geringe Zahl türkischer Truppen mit den 
arabischen Stämmen zu vereinigen und den Italienern scharfen Wider¬ 
stand entgegenzusetzen. Insbesondere, wenn sie versuchten, aus der 
schützenden Sphäre der Sihiffsgeschütze gegen das Innere des Landes 
vorzudringen, ln der Zeit vom 23. bis 26. Oktober wurden die Italiener 
sogar aus ihren Stellungen geworfen. 
Über die damalige Auffassung der Lage in Konstantinopel berichtet 
der k. u. k. Militärattache wie folgt: 
„Präs. 31710. 1911. 
Geh. Nr. 55/1911. Kon s t an t in opel, am 24. Oktober 1911. 
Euer Exzellenz! 
In der geheimen Kammersitzung vom 18. d. M. hat der Großvezier 
Said Pascha erklärt, d%ß die Isolieriheit der Türkei den größten Fehler 
der äußeren Politik des früheren Kabinetts darstelle. Diesem Fehler sei 
hauptsächlich die gegenwärtige Bedrängnis des Reiches, sowie der Ver¬ 
lust einer Provinz zuzuschreiben. Said Pascha gab ferner zu verstehen, 
daß er imstande wäre, eine vorteilhafte Allianz abzuschl'eßen, ohne daß 
hiedurch die Türkei unter die Vormundschaft der betreffenden Mächte 
geraten würde. Die Kammer gab hierauf der neuen Regierung mit 
bedeutender Majorität ein Vertrauensvotum und das Land erwartet nun¬ 
mehr die Resultate der von Said Pascha eingeleiteten diplomatischen 
Aktion.
	        
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