Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

geführten großen Vorbereitungen begannen erst im Jahre 1912. Frank¬ 
reich kämpfte in Marokko, wo auch Spanien engagiert war. Zwischen 
Deutschland und Frankreich schwebte die Marokkofrage, die sich in der 
Folge friedlich löste, was für diesen Zeitpunkt nicht auf kriegerische 
Dispositionen Frankreichs schließen ließ. Weder Frankreich noch Eng¬ 
land konnten ein Interesse haben, Italien als Mittelmeermacht und als 
Konkurrenten um den kleinasiatischen Besitz heranwachsen zu lassen, 
Englands Heeresreform war erst im Werden. Die Balkanstaaten hatten 
1911 mit der militärisch noch ungebrochenen Türkei zu rechnen; der 
Gegensatz zwischen Bulgarien und Rumänien war nicht ausgetragen; 
sicher aber war, daß jedes kommende Jahr die Lage Österreich-Ungams 
nur wesentlich verschlechtern würde. 
Es geschah nichts, man ließ sich von Italien völlig über¬ 
raschen und ließ es ruhig gewähren. 
Italien aber handelte rasch, rücksichtslos und ohne Skrupel. 
Am 27. September 1911 richtete eseinschroffesUltimatum*) 
an die Türkei, wonach diese innerhalb 24 Stunden zu antworten 
hatte, ob sie die Besetzung Tripolitaniens und der Cyrenaika zulassen 
wolle oder nicht. Dem, wie nicht anders erwartet werden konnte,, 
abschlägigen Bescheid folgte am 29. September die Kriegserklärung seitens 
Italiens und das Expeditionskorps unter General Caneva ging unter 
Konvoi der Flotte nach Afrika ab. 
Am 4. Oktober 1911 wurde Tobruk, am 5. Oktober Tripolis besetzt. 
Als einleitende Episode hatten die Italiener eine Festsetzung in 
Prevesa versucht, stießen aber auf den Widerstand Österreich-Ungams 
und der übrigen Mächte, worauf sie davon abließen. San Giuliano 
erklärte, daß Italien den Status quo am Balkan selbst nicht stören wolle. 
Darüber berichtete Oberst Pomiankowski unter dem 3. Oktober 1911: 
„Graf Ährenthal war über den italienischen Angriff auf Prevesa sehr 
aufgebracht und hat Sonntag den 1. Oktober mit dem Herzog von 
Avarna**) diesbezüglich sehr ernst gesprochen. Im Falle einer wirk¬ 
lichen Landung der Italiener bei Prevesa wären wir nicht müßige 
Zuschauer geblieben***). 
*) Im Wesen weit schroffer als jenes Österreich-Ungams an Serbien 
im Jahre 1914, da es rundweg die Abtretung einer Provinz verlangte. 
**) Italienischer Botschafter in Wien. 
***) Das darauf hin erfolgende Nachgeben Italiens war einer jener 
diplomatischen Triumphe, mit denen man das Reichsschiff in sicherer 
Bahn zu steuern vermeinte. Italien aber ließ sich nicht stören und 
verfolgte weiter seine positiven Ziele. 
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