Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

Arabien ist durchaus nicht klargestellt; Schwarzseher vermuten ia 
der Revolte im Ostjordanland bereits den Vorboten einer allgemeinen 
arabischen Erhebung und bezeichnen in einem Atem den K h e d i v e 
und England als die Anstifter der beduinischen Rebellionen. In 
Europa ist die Lage der Türkei gewiß schwierig und könnte bei 
erneuerter Erhebung der Aloanesen im Frühjahr wohl geradezu 
kritisch werden. Trotz dieser Situation erregte es ein gewisses Erstaunen, 
daß der Kriegsminister in seiner Rede bei Gelegenheit der Diskussion 
des Kredites von 15 Millionen Piaster zum Ankäufe von Transport¬ 
schiffen erklärte, diese Schiffe unbedingt bis zum März haben zu 
müssen, da, wie er wiederholt betonte, »das Vaterland in Gefahr sei«. 
Es dürfte wohl im Zusammenhänge mit dieser etwas nervösen 
Stimmung stehen, wenn sich in letzter Zeit ein immer deutlicherer 
Umschwung besonders der militärischen Kreise zu Gunsten einer 
engeren Anlehnung an unsere Monarchie bemerk¬ 
bar macht. Dieser Wechsel tritt in der wohlwollenderen Behandlung 
unserer Industrie besonders zutage und ist auch mir durch das weniger 
zurückhaltende Benehmen der militärischen Funktionäre deutlich wahr¬ 
nehmbar. Mit der wachsenden Entfremdung zwischen der 
Türkei einerseits und den Westmächten sowie 
Italien anderseits sind unser Ansehen und Gewicht am Bosporus 
entschieden gestiegen und es ist gegenwärtig begründete Aussicht vor¬ 
handen, diese günstige Position längere Zeit festhalten zu können.“ 
Die Türken, zum militärischen Einschreiten gezwungen, entsetzten 
zwar am 5. April 1911 das belagerte Sana, wurden aber am 14. Juni 
1911 bei Assyr von den Arabern geschlagen. 
Der arabische Aufstand blieb eine dauernde Gefahr für die Türkei. 
All diese Komplikationen verschlimmerten auch die inneren 
Zustände, da sie dem schroffen Gegensatz zwischen Jung- und Alt¬ 
türken stets neue Nahrung gaben. Dazu kam, daß die Armee in gänz¬ 
licher, von konservativen Kreisen angefeindeter Reorganisation begriffen war. 
Diese schwierige Lage der Türkei nützte nun Italien aus, um seine 
langgehegten Pläne auf Tripolis, die es sich längst sowohl im Dreibund als 
bei der Entente zu verbürgen verstand, zur Durchführung zu bringen. 
Durch nichts herausgefordert, überfiel es mit 
einer Skrupellosigkeit, die ihresgleichen sucht, die 
wehrlose Türkei. 
An der Selbstverständlichkeit, mit der die Mächte der Entente dies 
geschehen ließen, läßt sich die ganze Größe jener Heuchelei ermessen, 
mit der dieselben Mächte sich in Entrüstung hüllten, als das durch 
Serbien seit Jahren provozierte und schließlich brutalst herausgeforderte 
Österreich-Ungarn notgedrungen den Schlag zur Abwehr führte. 
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