Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

schließen. Offiziell erzählt man freilich, Montenegro will das Gebiet bis an 
den Proni Mati, und viele Malissoren kämpfen, um der türkischen Ober¬ 
hoheit zu entkommen und unter montenegrinische Oberhoheit zu gelangen. 
Ungefähr mit den Zielen, die ich Exzellenz im vorigen Briefe 
skizzierte, scheinen sich die Ziele jener Partei zu decken, die ich 
türkische Friedenspartei nennen möchte und hier ihren Vertreter im 
hiesigen türkischen Gesandten in Cetinje hat, der trotz meiner direkt 
feindlichen Haltung Thorgut Pascha gegenüber mich erst vorgestern in 
Podgorica aufsuchte und aufforderte, meine Versöhnungsaktion wieder 
aufzunehmen. Ich unterbreitete ihm dementsprechend ein mündliches 
Programm, las ihm ein gleichlautendes schriftliches einige Tage später 
vor, und er ersuchte um eine Reinschrift, um diese seiner Regierung 
unterbreiten zu können. 
Da die Leute, wie ich mich überzeugen konnte, etwas kampfesmüde 
sind, so wird das „aus dem Sattel heben“ der montenegrinischen Partei, 
sowie annehmbare Bedingungen vor liegen, Nationalisten und allen zum 
Trotz leicht sein. Die einzige Gefahr — und diese ist sehr groß — 
besteht darin, daß mir von der montenegrinischen Regierung verboten 
wird, mit den Albanesen in Kontakt zu treten, daß man meine Kon¬ 
fidenten einsperrt und mich zu guter Letzt ausweist. Schon heute sehe 
ich mich genötigt, Baron Giesls*) Intervention anzurufen. 
Ein zweiter und effektiver Schadizug gegen Montenegros zum 
Kampfe zwingenden Einfluß wäre eine ö.-u. Hilfsaktion zu Gunsten 
der Nichtkombattanten, wodurch alle Albanesen von Montenegros 
Befehlen unabhängig würden. Freilich sind zirka 12.000 Flüchtlinge 
zu ernähren (pro Mann 1-2 Kilo Mais täglich, weiter nichts), und zwar 
für zirka vier bis fünf Wochen, während welcher Zeit die vom hiesigen 
türkischen Gesandten mit den Rebellenchefs vor einigen Tagen angebahn¬ 
ten Besprechungen zu einem günstigen Ende geführt werden könnten, 
sofeme die türkische Kriegspartei diese Besprechungen zuläßt. 
Da in zirka zwei Wochen in Bregmatja mit 13.000 Bewohnern die 
Malaria stark grassieren wird, in dem von 8000 Seelen bewohnten 
Gebiet von Pulati und Sala, das von Truppen zemiert ist, Salz und 
Mehl bereits ausgegangen sind und die Einwohner genötigt sind, ihre 
Herden zu schlachten, deren Fleischvorrat nach meiner Schätzung auf 
ebenfalls zwei bis drei Wochen hinreicht, Sokol Bacis Sturz ebenfalls in 
zirka zwei Wochen oder noch früher zu erwarten ist, worauf Montenegros 
Wohltätigkeitsaktion gleichfalls aufhören dürfte, läßt sich das Ende 
der ganzen Sache in zwei bis drei Wochen erwarten, und infolgedessen 
verlieren alle kleinen Renkontres jede politische Bedeutung. 
*) Ö.-u. Gesandter in Cetinje. 
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