Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

Zur Charakteristik der ganz eigenartigen Verhältnisse gebe ich nach¬ 
folgend einen seiner Briefe, (vom 22. Juni 1911) wieder, in dem er über 
seine Versuche, die Versöhnung der Malissoren herbeizuführen, berichtet: 
„Exzellenz! 
Mein letzter Bericht war recht optimistisch und dies mit umsomehr 
Recht, als die Skutariner Lokalregierung von mir eine schriftliche Fixierung 
meines Programmes verlangt hatte und mich aufforderte, auch mit Thorgut 
Pascha in Kontakt zu treten. 
Ein Besuch bei Thorgut Schefket Pascha brachte aber eine große 
Enttäuschung, als dieser sich unwiderruflich auf den Standpunkt stellte: 
»zuerst müssen sich die Malissoren unterwerfen, dann kann man daran 
gehen, zu besprechen, was für Erleichterungen zu gewähren seien.« 
Nach Thorguts Benehmen voriges Jahr hätte natürlich weder ich 
mich zu so einer Aktion — Treubruch befürchtend — hergegeben, noch 
war irgend eine Aussicht vorhanden, die Malissoren hiezu zu überreden. 
Während ich mit Thorgut redete, waren im türkischen Haupt¬ 
quartier die Vorbereitungen gemacht worden, das Gebiet von Pulati und 
Sala anzugreifen, und zwar trotzdem am folgenden Tage die Amnestie 
proklamiert werden sollte. Angriff und Amnestie-Verkündigung erfolg¬ 
ten gleichzeitig, offenbar, damit ersterer letztere neutralisiere, obzwar 
schon Ton und Inhalt der Amnestieproklamation — deren in vier 
Sprachen publizierter Text nicht gleichlautend veröffentlicht wurde — 
genügend gewesen wären, die Malissoren von ihr abzuwenden. 
Durch wen es inszeniert wurde, daß gleichzeitig mit der Amnestie¬ 
proklamation die täglichen und allnächtlichen Schießereien am Cemufer 
wieder plötzlich bedeutend stärker wurden, konnte ich positiv nicht 
erfahren, ich glaube es war der gemeinsame Wunsch Thorgut Paschas 
und der Rebellen. 
Vor einigen Tagen wurden jene Häuser von Niksi, die von den 
Rebellen wegen Patronenmangels evakuiert werden mußten, sofort von 
den türkischen Truppen in Brand gesteckt. 
Nach Kenntnisnahme von Thorgut Paschas Doppelspiel verließ ich, 
meine Meinung über sein Benehmen nicht verhehlend, Skutari und ging 
nach Podgorica. 
In Podgorica und Trepsi sah ich folgendes: 
Vor allem existieren hier mehrere Parteien und zwar vor allem eine 
von König Nikolaus beeinflußte Partei, deren sichtbare Oberhäupter 
Sokol Baci und sein Sohn sind und die zum Vernichtungskrieg drängt. 
»Eher sterben als sich den Türken ergeben,« ist ihre Devise und da 
Sokol Baci sein Hab und Gut in Montenegro hat, außerdem von Brot¬ 
lieferungen profitiert, hat er es leicht, seinem Programm treu zu bleiben.
	        
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