Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

„Budapest, 16. November 1911. 
Euer Exzellenz! 
Gestatten mir E. E., daß ich mit ihrer freundlichen Erlaubnis mit 
einigen Worten an unser kürzliches Gespräch anknüpfe. Es ist mir 
nämlich sehr daran gelegen, Sie mit der Situation, welche sich um die 
Wehrvorlage neuestens gebildet hat, vertraut zu machen. 
Wie E. E. bekannt, ist in den letzten Tagen zwischen unseren 
politischen Parteien ein längstens bis Ende des Jahres dauernder 
Waffenstillstand zustande gekommen, und man begegnet vielfach der 
Auffassung, daß dieser Waffenstillstand die Aussichten für die Bergung 
der Vorlage wesentlich gefördert habe. Das ist ein Irrtum. Es bleibt 
alles wie es war, der einzige Unterschied gegen früher ist nur der, daß 
eventuelle Friedensverhandlungen unter glatteren Formen entriert 
werden können. 
Die Opposition hält auch weiter fest an ihrer Auffassung, daß die 
Lasten, welche die Vorlage bringt, reduziert werden sollen, weiter, daß 
der restliche Teil des Neuner-Programmes zu effektuieren sei, und 
endlich, daß einzelne Bestimmungen der Wehrvorlage zu modifizieren 
wären. 
Zu diesem kommt noch, daß der radikale Flügel der Opposition, 
welcher die Obstruktion führt, das Schicksal der Wehrvorlage mit der 
Lösung der Frage des allgemeinen Wahlrechtes verquickt und vor der 
prinzipiellen Lösung dieser Frage von der Obstruktion nicht lassen will. 
Es müßte also, selbst wenn eine entsprechende militärische.Formel zu 
finden wäre, auch die Formel für das Wahlrecht gefunden werden, was 
übrigens mehr eine innere Angelegenheit ist und trotz scheinbarer 
großer Schwierigkeiten, wenn die Regierungspolitik als ihre erste und 
Hauptaufgabe die endliche Regelung der Heeresreform betrachtet, in 
Ordnung gebracht werden kann. 
Dieser Sachlage gegenüber möchte ich meine Ansicht aussprechen. 
Es hat sich erwiesen, daß beim Einbringen der militärischen Vor¬ 
lagen die Situation im Parlamente nicht entsprechend vorbereitet war. 
Die Regierung hatte eine unrichtige Taktik gewählt. An diesem ist aber 
jetzt nichts mehr zu ändern und will man die Wehrvorlage sichern, so 
muß mit der neuentstandenen Situation gerechnet werden, die übrigens 
insoweit von jener der früheren Jahre abweicht, als die Opposition bei 
dieser Gelegenheit die „Sprachenfrage“ nicht ins Spiel brachte und auch 
zugibt, daß der Ausbau der Wehrmacht notwendig sei. 
Es kommt nun darauf an, darüber klai zu werden, ob auf Basis 
der vorher erwähnten drei Forderungen der Opposition ein Kompromiß 
möglich wäre. Die wichtigste Forderung ist die Reduktion der Lasten 
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