Volltext: Graf Stefan Tisza

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tung der parlamentarischen Autorität aber als die Schicksals¬ 
frage der ungarischen Nation. 
Wie er das näher versteht, erhellt aus einer Rede vom 
Februar 1895, in der er den politischen Hintergrund seiner 
unentwegten Obstruktionsfeindlichkeit zeichnet: „Ich glaube, 
wir befolgen nur dann eine richtige Nationalpolitik, wenn wir 
alle materiellen und moralischen Kräfte der ungarischen Na¬ 
tion in die Venen der Monarchie übertragen, zu dem Behufe, 
Österreich-Ungarn in jeder Hinsicht zu konsolidieren, auf daß 
es von Freund und Feind geachtet, groß und mächtig sei. 
Denn die Großmachtstellung und die Autorität der Monarchie, 
deren einen, gleichberechtigten Staat wir darstellen, ist jedem 
wichtig, der in dieser Monarchie lebt, doch keinem in dem 
Maße, wie dem ungarischen Volk.'“ 
Als Tisza diese bedeutsamen Worte sprach, war Wekerle 
bereits der politischen Leitung enthoben. Der neue Mann hieß 
Baron Desider Bänffy. Er gehörte nicht zu denjenigen, die 
in den politischen Couloirs als ernste Kandidaten in Frage 
gekommen waren. Niemand hätte vorausgesetzt, daß die Wahl 
des ob der kirchenpolitischen Agitation arg verstimmten Königs 
just in diesem Augenblick auf einen Nicht-Katholiken fallen 
könnte. Der Unmut des Herrschers ging so weit, daß er bei 
der Wahl des neuen Regierungsmannes sogar die liberale Mehr¬ 
heit am liebsten ausgebootet hätte. Aber eine Audienz des 
Grafen Apponyi zeigte ihm, daß selbst ein gemäßigtes Links¬ 
kabinett sich unter allen Umständen im Zeichen der Militär¬ 
forderungen bilden würde. Dann schon lieber das Verharren 
bei dem antikatholischen Liberalismus! Doch sollte wenigstens 
ein starker Mann kommen, der dem parlamentarischen Gezeter 
ein Ende setzt und den Bedarf der Armee endlich zu sichern 
versteht. Bänffy durfte dieses Werk zugetraut werden. Er 
erwies das als Obergespan in einem siebenbür gischen Komitat, 
auf welchem Posten er gegen die rumänische Agitation in Sie¬ 
benbürgen mit schonungslosester Gewalt vorging, so daß seine 
Abb erruf ung von Bukarest aus ur giert wurde. Minder 
bewährte er sich allerdings als Hauspräsident während der 
kirchenpolitischen Debatte, da er sich durch Unkenntnis der 
Geschäftsordnung manche Blöße gab und manchen ungewoll¬ 
ten Heiterkeitserfolg weckte. 
Mit dem aschgrauen Schnurrbart, dem grotesk anmuten¬ 
den Katergesicht und der etwas plumpen Schlauheit des ganzen 
Gebarens bot Baron Bänffy im Ministerfauteuil zuerst eine
	        
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