Volltext: Graf Stefan Tisza

72 
ständigkeit des historischen Staatsgebietes, die Sorge um den 
militärischen Schntz jener Dynastie, deren znsammenfassende 
Gewalt eben den ungarischen Machtbestand garantieren sollte. 
Nach der österreichischen Niederlage bei Königgrätz war Franz 
Deäk nicht dafür zu haben, seine Forderungen höher zu 
schrauben. Es war ihm klar, daß die ungarische Macht nicht 
auf Kosten der monarchischen Macht befestigt werden könne. 
Freilich war das ein Werk nüchterner, unsentimentaler Über¬ 
legung. Aber dieselbe Überlegung erheischte auch, die kost¬ 
baren Jahre der inneren Erstarkung nicht durch verspätete 
nationale Rekriminationen an die Wiener Adresse zu ver¬ 
trödeln, der Armee nicht durch nationale Forderungen vorzu¬ 
enthalten, was ihr angesichts der aufgepulverten kontinentalen 
Stimmung zukommt, die überschüssigen patriotischen Kräfte 
vielmehr in dem Sinne zu gebrauchen, daß die ungarische 
Note in den großen außenpolitischen Richtlinien der Monarchie 
durchdringe, wie es in den Zeiten Julius Andrässys d. Ä. und 
Koloman Tiszas der Fall war. Gewiß fällt es schwer, die kühl 
erwägende Vernunft ins Vordertreffen zu schicken, wenn starke 
Leidenschaften mit im Spiele sind. Wie will aber Ungarn von 
seinen „Nationalitäten1“ die freiwillige Eingliederung in den 
Rahmen des ungarischen Einheitsstaates verlangen, wenn seine 
leitenden Politiker zu einer Eingliederung in die Monarchie, 
die verhältnismäßig viel weniger Opfer erfordert, nicht die 
nötige Vernunft auf bringen? 
Dies alles lag für einen Vernunftspolitiker vom Schlage 
Tiszas, der die großen Zusammenhänge nicht kleinen vater¬ 
ländischen Aufwallungen opfert, so ziemlich auf der Hand. 
Doch hütete er sich freilich, dasjenige von diesen Gedanken¬ 
gängen, dessen Lüftung inopportun schien, in seinen An¬ 
griffen gegen die Opposition zu verwerten. Hiezu kam dann 
noch ein leitender Gesichtspunkt, dem Tisza Geltung zu ver¬ 
schaffen unter allen Umständen fest entschlossen war. Die 
liberale Ära war das Zeitalter einer absoluten Herrschaft der 
parlamentarischen Mehrheit. Auf diesem Grundsatz basierte 
eigentlich der klassische Parlamentarismus, dessen Blütezeit 
mit derjenigen des klassischen Liberalismus zeitlich zusammen¬ 
fiel. Für Tisza war es ein unerträglicher Gedanke, daß in 
einer Frage, deren glimpfliche Erledigung er vom Standpunkt 
höchster nationaler Interessen unumgänglich fand, die Majori¬ 
tät von der Minorität jahrein, jahraus terrorisiert werde und 
daß die Geschäftsordnung hiefür die gesetzliche Handhabe
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.