Volltext: Graf Stefan Tisza

Schutz bei Österreich-Ungarn suchen werden. Es wäre — so 
fährt er fort — ein nicht hoch genug einzuschätzender Erfolg 
der Zivilisation, wenn die friedliche Lösung dieser Aufgabe 
gelänge. Indes dürfe man nicht vergessen, daß es auswärtige 
Kräfte gebe, die nur auf die günstige Gelegenheit warten, um 
die Verhinderung dieser Politik auf gewaltsamem Wege zu ver¬ 
suchen. Daher sei es Ungarns Lebensinteresse, militärisch und 
materiell gerüstet zu sein. 
Mit der „Nationalitätenfrage1“ — wie die Frage für 
nationale Minderheiten in Ungarn allgemein heißt — setzt 
sich Tisza zum ersten Mal im September 1893 in der Groß- 
wardeiner Komitatssitzung auseinander. Es handelt sich hiebei 
speziell um die Siebenbürger Rumänen, deren Problem Tisza in 
den verschiedenen Epochen seines Lebens ganz besonders 
nahe ging. Ihre nationalen Führer sind wegen ihrer autonomi- 
stischen Bestrebungen erst kürzlich von einem ungarischen 
Gericht zu Gefängisstrafen verurteilt worden. Tisza gehört 
in der Nationalitätenfrage trotz seines überschäumenden 
magyarischen Empfindens nicht zu den blinden chauvinisti¬ 
schen Eiferern. Und vor allem vergißt er nicht, daß sich an 
der ungarischen Ostgrenze ein unabhängiger rumänischer 
Staat befindet. „Daß diese Tatsache unsere rumänischen 
Brüder freudig stimmt1“ — fügt er hinzu — „und ihre An¬ 
sichten und Gefühle beeinflußt, finde ich nur natürlich und 
kann es ihnen nicht verargen.1“ Tisza läßt nun bereits in diesem 
frühen Stadium seiper Politik das Bestreben durchblicken, in 
den ungarländischen Rumänen möglichst Mittler zwischen 
Rumänien und der österreichisch-ungarischen Monarchie zu 
gewinnen, und dies mit staatsmännischer Voraussicht schon 
damals, — in einem Zeitpunkt, in dem die Beziehungen 
zwischen der Monarchie und dem jungen rumänischen Staat 
noch ungetrübt waren. Um die in Ungarn ansässigen Rumänen 
aus einem Ferment zu einem Bindeglied umzuschmelzen, neigt 
er ihnen gegenüber von allem Anfang her — im Gegensatz zu 
den nach österreichischer und rumänischer Seite gleich intole¬ 
ranten Unabhängigkeitspolitikern — einer Politik des Ent¬ 
gegenkommens zu, allerdings mit Maß und Ziel und bei stetiger 
Herausstreichung von Ungarns einheitlichem Nationalcharak¬ 
ter. So wird die rumänische Frage in Tiszas Seele zu einem der 
tragischen Zwiespälte zwischen staatsmännischem Weitblick 
und der Engherzigkeit eines glühenden Nationalismus, über 
den noch so manches zu sagen sein wird.
	        
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