Volltext: Graf Stefan Tisza

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des parlamentarischen Lebens während mehr als zweier Jahr¬ 
zehnte, die Obstruktion, entfacht hat. Die österreichfeindlichen 
Unabhängigen, die sich dieser zweifelhaften Waffe im Kampfe 
gegen die Armeevorlage bedienen, entlehnen sie eigentlich 
dem österreichischen Parlament, wo die Deutschen sich der 
slawischen Konzentrationspolitik Taaffes durch einen organi¬ 
sierten Redestrom zu erwehren trachten. Dort bezweckt aller¬ 
dings dieses parlamentarische Manöver die Errettung aus 
dem nationalen Wirrwarr, eine Strafferspannung der dilfusen 
Staatskräfte durch den großdeutschen Zusammenschluß. Hier 
aber stemmt sich die Minorität gegen die staatserhaltende 
Politik der gouvernementalen Mehrheit durch wirklichkeits¬ 
fremde, substanzzerstörende Schlagwörter. Um die Wende 
1888/89 widerhallt zum ersten Male das Haus, Woche ein, 
Woche aus, vom hohlen Pathos der Obstruktionsredner, die 
die gleichen Argumente in tausend Variationen wiederholen, 
aufbauschen und plattreten, die Tagesordnung durch hundert 
Mätzchen, durch einen Schwall der Interpellationen, außer- 
tourlichen Reden, Zwischenrufe und Beschlußanträge hinter¬ 
treiben, wozu ihnen die Geschäftsordnung ungezählte Hand¬ 
haben bietet. Vor dem Parlamentsgebäude aber tobt der auf- 
gewiegelte Straßenmob. In der Politik des Landes, das in den 
zwanzig Jahren seit dem Abschluß des Ausgleiches mit Öster¬ 
reich eine beispiellose Blüte erlebte, scheint in wüster Beschimp¬ 
fung dieses Ausgleichs das Unterste nach oben gekehrt. 
In dem Parlament, in das der junge Stefan Tisza als 
Abgeordneter einrückt, herrscht bereits die Stickluft, die solche 
Skandalszenen reifen macht. Der alte Tisza umgeht sie, aber 
er bändigt sie nicht. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die als 
„österreichisch-ungarische Monarchie“ bekannte Schöpfung 
von ungarischer Regierungsseite bloß erhaltende Taktiker, 
aber keine überzeugten Künder gefunden. Koloman Tisza 
umsegelte jahrein, jahraus mit unvergleichlichem Geschick die 
Klippen, um schließlich an ihrer Tücke doch zu scheitern. 
Jung-Tisza aber wirft sich von allem Anfang mit ganzer 
Verve in die Mitte des Stromes. Er erscheint in der Wappnung 
eines Ritters vom Geiste, der mit seiner Idee steht und fällt. 
Halb miterlebend, halb nachblätternd saugt er Sinn und 
Quintessenz des ungarischen Geschehens seit 1848 in sich ein. 
Der Geist der ungarischen Vergangenheit ist ihm eng vertraut. 
Er studiert die Geschichte — wie er in einer seiner ersten 
Parlamentsreden, behauptet —, nicht um Haß, sondern um
	        
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