Volltext: Graf Stefan Tisza

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Auch, in den späteren Jahren setzt Kossnth in Zeitungs¬ 
artikeln, in Offenen- nnd Privatbriefen seine aufrührende 
Tätigkeit fort, — bis zuletzt der grimmige Feind jeglicher 
Gemeinschaft mit den Habsburgern und Österreich, der eigent¬ 
liche Spiritus rector der ungarischen Linken, der, noch als 
nahezu neunzigjähriger Greis, durch den Sturm, der in der 
Frage seiner Staatsbürgerschaft entfesselt wird, den Sturz, von 
Koloman Tiszas Dauerregierung bewirkt. Als Memoirenschrift¬ 
steller aber entwirft Kossuth geopolitische Zukunftsbilder, wie 
die Zertrümmerung Österreichs und die Bildung einer Donau¬ 
konföderation, die heute nicht zu Unrecht als prophetisch gel¬ 
ten. Doch auf die Frage gab er auch nach 1867 keine befriedi¬ 
gende Antwort: wie er sich den ungeschmälerten Fortbestand 
des historischen Ungarn, losgelöst von dem Schutz des angren¬ 
zenden Westens, eingekeilt in den Ring der erwachenden sla¬ 
wischen Völker, vorstellt? Das Dilemma, vor das Ungarn seit 
der türkischen Eroberungsepoche unweigerlich gestellt war: 
entweder auf die absolute Unabhängigkeit oder auf die Fülle 
des historischen Gebietsstandes verzichten zu müssen, wollte 
Kossuth nie sehen oder er glaubte zumindest, es durch ein 
Bündnis mit Serbien und Rumänien umgehen zu können. Und 
doch hätte ihn schon 1848 der Aufstand der nationalen Min¬ 
derheiten gegen die ungarischen Unabhängigkeitsaspiration 
eines Besseren belehren sollen. Er blieb, was er war: der im 
Wesen illusionär und rhetorisch veranlagte Feuergeist, der den 
unzufriedenen, sich unterjocht fühlenden Fremdvölkern im 
ungarischen Staatferahmen die Friedensschalmei bläst, gegen 
den österreichischen Unterjocher aber in die Kriegsfanfare 
stößt. 
Nichtsdestoweniger zündet dieser Illusionismus. Als offi¬ 
zielle Lenker der ungarischen Politik gelten die älteren 
Andrässy und Tisza; doch Kossuth ist der eigentliche Abgott 
der ungarischen Herzen, sein Bild hängt in jeder besseren 
Bauernstube, „Vater Kossuth“ nennt ihn das Volk. Dem 
Herrscher stellt er eine fast ebenbürtige Gegenmacht, an die 
bei jedem wichtigen politischen Anlaß Deputationen ergehen, 
in deren Namen die aufgewühlte Pester Straße demonstriert. 
Nicht nur die aufrechten Patrioten extremer Färbung, auch 
demagogische Chauvins führen seinen Namen im Schild. Jahre 
lang witzelt man über den Ausspruch des Abgeordneten 
Pichler, eines jungen Volksredners von vorbildlicher Häßlich¬ 
keit und bedenkenloser Großsprecherei, der in einer Provinz-
	        
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