Volltext: Graf Stefan Tisza

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Bocskays, Thökölys und Räkoezys wirkte in den Seelen fort, 
und jeder Ungar von historischer Abstammung oder Schulung, 
sofern er nicht ganz in den Bannkreis des Hofglanzes geraten 
war, hatte allerhand in sich von der illusionären Denkart der 
alten „Rebellen'“, gebärdete sich als räkoczianischer „Kurutzö“, 
wenn es den Hofschranzen oder den Fürsprechern des öster¬ 
reichischen Föderalismus eins aufzuwischen galt. Und mochte 
das Opportunitätsgefühl den Politiker von Haus aus auch 
vor unbedachten Schritten zurückhalten, einem einlenkenden 
Kurs verpflichten; auch ihm war die schwarzgelbe Flagge, 
das deutschsprachige Heereskommando und etliches, was drum 
und dran hing, aus der Seele zuwider. Eine strikte Grenz¬ 
scheide zwischen Rechts- und Linksgesinnung gab es eben 
nicht, immer schien ein gelegentliches Herüber- und Hinüber¬ 
pendeln möglich. 
Der schürende Geist in diesem fortschreitenden Prozeß 
nationaler Selbstspaltung ist der von allen Ungarn glühend 
verehrte Emigrant Ludwig Kossuth, kein lebendiger Streiter 
mehr, sondern gleichsam das spiritualisierte Gewissen der Na¬ 
tion, der gleich dem Geist von Hamlets Vater aus einer ande¬ 
ren Region seine Mahnungen und Weissagungen herüber¬ 
sendet. Kossuth verschmäht die Amnestie und verbannt sieh 
lebenslänglich, nachdem seine Alarmierungsversuche für die 
Sache des niedergerungenen Ungarn sbheiterten, um im Voll¬ 
besitze seiner revolutionären Zündkraft zu bleiben und von 
seinem Turiner Exil aus das Werk des latenten nationalen 
Widerstandes gegen die neue Ordnung leiten zu können. 
Schon inmitten der Verhandlungen, die Deäk um den 
„Ausgleich“ führt, erhebt sich warnend diese fanatische 
Stimme, die keinen Ausgleich kennt. Der unerschütterliche 
Stürmer und Dränger, der achtzehn Jahre vorher die Dethro- 
nisierung des Habsburghauses ausgesprochen hat, wendet sich 
in einem flammenden Manifest an seinen einstigen Mitarbeiter 
Deäk, in dem er halb flehend, halb drohend feststellt, daß sich 
ihre Wege getrennt haben, da Deäk vom Standpunkte der 
Rechtsrestitution sich auf das schlüpfrige Gebiet der Rechtsauf¬ 
opferung begeben habe. Dem Empfinden Kossuths nach wird 
Ungarn durch die neue Verfassung aller Attribute beraubt, 
die einem Land den staatlichen Typus verleihen. Er erblickt 
in dieser Tatsache den Tod der Nation und schließt mit dem 
Ausruf: „Ich weiß, daß die Rolle Kassandras undankbar ist. 
Bedenke aber, daß Kassandra recht hatte.“
	        
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