Volltext: Graf Stefan Tisza

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dem Kärolyi-Regime wird auch nicht der leiseste Versuch an¬ 
gestellt, der Mörder Tiszas habhaft zu werden. Man trachtet 
allgemein, mitsamt der unerledigten, unbequemen Kriminal¬ 
affäre auch deren Opfer zu vergessen, zumal man im schmä¬ 
henden Nachruf den Tonfall vergangener parlamentarischer 
Flegeleien kaum überbieten könnte. Man hat Dringlicheres zu 
tun, als sich mit dem Vermächtnis von Toten auseinanderzu¬ 
setzen. Es gilt, an dem Bestehenden herumzudoktern, das Un- ( 
terste nach oberst zu kehren, Luftprojekt über Luftprojekt zu 
häufen, eine Generation, der das Glücksgefühl der Stetigkeit 
abhandengegangen ist, mit einem Wust schwirrender, schwan¬ 
kender Beglückungslosungen zu saturieren. 
Noch mehr entfernt man sich von dem Gedächtnis Tiszas, 
als Kärolyi aus dem Rachegefühl des in seiner Eitelkeit ver¬ 
letzten Schwächlings heraus, der von der Entente nicht um 
einen Schimmer besser behandelt wird, als seine politischen 
Antipoden behandelt worden wären, die Herrschaft den bol¬ 
schewistischen Heerscharen Bela Kuns überantwortet. Die 
Kommunisten, die selbst für Tiszas demokratische Gegner bloß 
das Sammelgefängnis übrig haben, wissen mit diesem Erzfeind 
aller Pöbelgelüste überhaupt nichts anzufangen. Und während 
die rote Fackel unheilbringend durchs Land getragen wird 
und man sich im Zeichen sozialer Gleichheit gegenseitig aus¬ 
plündert und zerfleischt, will es fast scheinen, als ob der Name 
Tisza in Vergessenheit geriete. 
Die auf die Revolutionen folgende christlich-nationale 
Gegenbewegung führt Tiszas Namen bei ihrem Ralliierungswerk 
wieder überaus häufig im Schild. Aber der Geist Tiszas scheint 
zunächst auch über dem Beginnen der neuen Machthaber nicht 
zu schweben. Das Verfahren zur Aufdeckung des gegen Tisza 
verübten Mordanschlages wird zwar eingeleitet, aber die Vor¬ 
erhebungen ziehen sich über Gebühr hin, man scheut sich offen¬ 
kundig, gegen gewisse Personen, die geistige Urheber des 
Komplotts waren, vorzugehen, die Kronzeugen zu verhören. « 
Als endlich einige der mutmaßlichen Täter: die Militärs Dobo, 
Sztanykovszky und Hüttner, der angebliche Chemiker Gärtner 
und — last not least — der aufrührerische Journalist Paul 
Keri auf der Anklagebank sitzen, befinden sich andere aus 
ihren Reihen, wie der ehemalige Volkskomissär Pogäny, dieser 
terroristische Schöngeist der Ära Bela Kun und Verfasser 
eines Napoleon-Dramas von Schuljungenniveau, und der blut¬ 
rünstige Matrose Horväth-Sanovics, bereits längst in der Emi¬
	        
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