Volltext: Graf Stefan Tisza

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Nicht ohne Bewunderung betrachtet Franz Joseph die Hünen¬ 
gestalt seines ungarischen Premiers und äußert sich seiner 
nächsten Umgebung über ihn mit einer bei ihm ungewohnten 
Innigkeit, zeigt sich um den Ausgang der Duelle, denen Tisza 
trotz seiner stark verminderten Sehkraft nicht ausweicht, un¬ 
endlich besorgt. 
Tisza aber hegt seinerseits eine schwärmende Verehrung 
für seinen „alten Herrn“, ist stolz auf das Vertrauen, das ihm 
sein König gewährt, er blickt zu dem Monarchen verehrend als 
zu dem väterlichen Gönner empor, der bereits Koloman Tisza 
während anderthalb Jahrzehnte Gehör und Huld erwies. Sein 
im Elternhaus hochgezogenes dynastisches Gefühl findet Be¬ 
friedigung an seiner Vertrauensstellung bei Hofe und an der 
Illusion des Einvernehmens zwischen Herrscher und Nation, 
dessen Befestigung er mit überspanntem konstitutionellen Sinn 
die besten Kräfte widmet. Den in kritischer Stunde erfolgten 
Tod seines Königs beklagt er nicht bloß als einen schweren 
persönlichen und nationalen Verlust, nicht bloß als den sym¬ 
bolischen Abschluß einer langen Geschichtsepoche, sondern 
auch als düsteren Auftakt einer ungewissen Zukunft. Wie 
inbrünstig trachtete er doch noch bei Lebzeiten des „alten 
Herrn“, die Verbindung mit der nächsten Epoche herzustellen, 
für die Kontinuität des Herrscherkurses zu sorgen, indem er 
den „jungen Herrn“ gleich mit beginnendem Kriege unter 
seine Fittiche nimmt, ihm — sporadisch zwar, doch umso be¬ 
seelter — eine Art vaterländischen Unterrichts erteilt. 
Doch konnte es der scharfen Beobachtung Tiszas nicht 
lange verborgen bleiben, daß sich bei dem Übergang aus der 
franziscojosephinischen in die karolinische Epoche ein empfind¬ 
licher Hiatus kaum werde vermeiden lassen. Von Natur aus ein 
leicht umstimmbares Gemüt, für die Herrscherlaufbahn noch 
kaum vorbereitet, bloß im Soldatenspiel gewandt, verspricht 
dieser Neunundzwanzig jährige nicht die Standhaftigkeit, an 
die man bei seinem Vorgänger gewohnt war. Man mußte nur 
beobachten, wie ihn schon im Sterbezimmer des Großoheims 
ein Gefühl von Unsicherheit übermannte, wie er dann mit 
einem jähen Impuls der Befreiung zugleich hundert Pläne 
hegte, — in Gedanken halb schon an der Front und gleichzeitig 
über eine rasche Liquidierung des Krieges als ein hochherziges 
Antrittsgeschenk des jungen Herrschers an seine leidenden 
Völker spintisierend, dem Phantom des königlichen Pomps 
im national gesinnten Budapest und der Beliebtheit als
	        
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