Volltext: Graf Stefan Tisza

6. 
KRÖNUNGSKAKOPHONIE 
„Er war das 'personifizierte Staatsin¬ 
teresse. Während seiner ganzen mon¬ 
archischen Laufbahn bannte er keine 
andere Rücksicht 
(Tisza über Kaiser-König Franz Joseph) 
Am 21. November 1916 stirbt sechsundachtzig Jahre alt 
an der Lungenentzündung, über die man ihm gewaltsam hin¬ 
wegzuhelfen oder ihn doch hinwegzutäuschen suchte, indem 
man ihn bis zum letzten Augenblick außer Bettes hielt und 
seine gewohnte, einförmig-arbeitsame Lebensweise fortsetzen 
ließ, Franz Joseph I., seit achtundsechzig Jahren Kaiser von 
Österreich, seit neunundvierzig Jahren Ungarns gekrönter 
König. Seitdem der Krieg ausgebrochen, lebte er — für den 
Mann auf der Straße unsichtbar — in der Weltabgeschiedenheit 
seiner Schönbrunner Gemächer. Der Kontakt zwischen ihm und 
seinen Völkern ging bereits seit Jahren gänzlich verloren, es 
haftete seiner Person in der Vorstellung der Menge etwas 
Unwirkliches an. Auf dem ungarischen Lande verbreitete sich 
bei seinem Tode die Legende, er wäre schon Monate vorher 
gestorben, man habe es bloß verheimlicht, um Front und 
Hinterland vor Erschütterungen zu bewahren. Diese Erschüt¬ 
terungen wurden übrigens im öffentlichen Bewußtsein der 
Monarchie schon geraume Zeit vor Kriegsbeginn allgemein 
überschätzt. Man erachtete die Person des alten Monarchen 
als den einzigen Kitt, der die auseinanderstrebenden Teile 
des Reiches zusammenhält. Seine ehrwürdige Gestalt — so 
hieß es — hindere die Aufteilungstendenzen der äußeren und 
inneren Feinde. Schließt er einmal für immer die Augen, so 
fallen alle Rücksichten, — es hat die letzte Stunde des Habs¬ 
burgreiches geschlagen. 
Bloß ein tückischer Zufall wollte es, daß diese düstere 
Vorahnung — wenn auch erst nach dem wechselnden Geschick
	        
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