Volltext: Graf Stefan Tisza

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„was wir für die Monarchie bedeuten, und wer nach den 
neuesten Erfahrungen noch auf die zentralistischen Bestrebun¬ 
gen der Vergangenheit zurückgreifen will, ist ein gemein¬ 
gefährlicher Narr. Bechtskämpfe und Reibungen zwischen 
den beiden Staaten dürfen in der Monarchie nicht wieder 
Vorkommen. Auf Grund seiner 1867 zurückgewonnenen öffent¬ 
lichen Rechtsstellung muß Ungarn in Hinkunft die Position 
einnehmen, die ihm infolge seiner materiellen und moralischen 
Kräfte, aber auch infolge des Umstandes zukommt, daß alle 
seine Bestrebungen sich mit den wohlaufgefaßten Interessen 
der Monarchie in vollständigem Einklang befinden.“ Est ist die 
reinste Idylle, jedermann stimmt zu, und Andrässy erklärt, 
in Österreich denke eigentlich keiner mehr daran, die kon¬ 
stitutionellen Rechte Ungarns zu schmälern. 
Doch arbeitet die Zeit gegen jede Idylle. Der sich hin¬ 
ziehende Krieg, dessen Lebensdauer bei Beginn selbst von 
Pessimisten bloß auf Monate geschätzt wurde, die Schlappen 
an den einzelnen Frontabschnitten, ganz besonders aber auf 
dem serbischen Kriegsschauplatz, und auch die verschiedenen 
außenpolitischen Komplikationen wirken verstimmend und 
aufreizend auf die oppositionellen Gemüter ein. Die Abspan¬ 
nung, die sich der Leute immer mehr bemächtigt, will durch 
das Gefühl einer politischen Spannung überwunden werden. 
Im April 1915, als das Parlament nach längerer Pause wieder 
einberufen wird, beginnt es vorerst mit vereinzelten Interpel¬ 
lationen, die aber alsbald zu Serien anschwellen und verkappte 
Angriffe gegen die Regierung darstellen. Ein Gesetzentwurf 
über die automatische Verlängerung der ablaufenden Ab¬ 
geordnetenmandate wird vorbereitet, da die Ausschreibung 
von Neuwahlen im Krieg auf Hindernisse stößt. Apponyi 
nimmt diese Tatsache zum Anlaß, um detaillierte Aufklärun¬ 
gen zu verlangen, da ein solches Gesetz geeignet sei, in das 
Prinzip der Volksvertretung eine Bresche zu schlagen. Noch 
am selben Tage interpelliert ein anderer Abgeordneter wegen 
verschiedener Korruptionserscheinungen bei Requirierungen 
und Heereslieferungen. In der nächsten Sitzung bringt vder 
Führer der katholischen Volkspartei, Stefan v. Rakovszky 
—« ein alter Feind Tiszas, mit dem er erst kurz vor Kriegs¬ 
beginn ein Duell auszufechten hatte —, sehr gegen Tiszas 
Intention, der diese peinliche Frage während der Kriegsdauer 
ausschalten zu können hoffte, die Angelegenheit der Wahl¬ 
rechtsreform zur Sprache. Sie soll in der Folge nicht wiedef
	        
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