Volltext: Graf Stefan Tisza

275 
so kann sich Tisza nicht genug beeilen, um den Fürsprechern 
eines Trialismus, die sich nun auch nach dieser Richtung regen 
und eine lose Angliederung dieses Landes an das Habsburg¬ 
reich in Erwägung ziehen, beizeiten das Handwerk zu legen. 
Ganz im Gegensatz, zu den Leitern der österreichischen Poli¬ 
tik, die hievon gar nichts wissen wollen, plädiert Tisza für die 
sogenannte „austro-polnische“ Lösung in weitestem Sinne, d. h. 
für die Bildung einer vergrößerten polnisch-galizischen Pro¬ 
vinz innerhalb Österreichs, von der der südöstliche, rutheni- 
sche Teil unter Umständen als besondere Provinz loszutrennen 
wäre. Vom ungarischen Standpunkte, ja selbst von demjeni¬ 
gen der Großmachtstellung der Monarchie hält Tisza nur 
diese Lösung für gangbar. Er stellt Berechnungen auf, inwie¬ 
weit sich der dieserart entstehende Bevölkerungszuwachs der 
österreichischen Länder zu Ungunsten Ungarns auswirken 
würde und findet es für Ungarns Geltung gar nicht weiter 
bedenklich, wenn die ungarische Bevölkerungsquote gegenüber 
der anderen Reichshälfte nach Einverleibung Russisch-Polens 
durch Österreich von 43.25 Prozent auf 36.87 Prozent zurück¬ 
ginge. 
Zwei Wochen später erfährt die Angelegenheit bereits 
durch den deutschen Einspruch neue Komplikationen. Tisza 
muß zugeben, daß „die polnische Frage in Berlin auf größere 
Schwierigkeiten zu stoßen scheint, als im ersten Augenblick 
zu erwarten war... Wir sollten die Sache nicht forcieren und 
das Verhalten Deutschlands dazu benutzen, etwas Wasser in 
den polnischen Wein zu gießen. Es wäre meiner Ansicht nach 
ein Fehler, in unliebsame Erörterungen mit den Deutschen 
wegen Polens zu geraten“. Doch hält Tisza an seiner Idee eines 
vergrößerten Galiziens nichtsdestoweniger fest. Am 28. August 
1914 beruft er sich in einem Brief an den Sektionschef im. 
Außenministerium Grafen Forgäch an ein vom Ballhausplatz 
nach Berlin abgesandtes Telegramm, in dem die „lose Anglie¬ 
derung'“ Polens an die Monarchie befürwortet wird. „Die 
Sache ist zwar im Augenblick nicht aktuell“ — fügt Tisza bei 
—, „doch kann ich nicht genug betonen, daß die neue Provinz 
— sofern überhaupt etwas daraus wird — möglichst eng dem 
österreichischen Staat angegliedert werden sollte und daß es 
unsererseits sehr ratsam wäre, alles zu vermeiden, was den 
entgegengesetzten Tendenzen Nahrung bieten könnte.“ 
Inmitten anderer, näherliegender Sorgen geschieht dann 
des polnischen Problems längere Zeit keine weitere Erwähnung. 
18*
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.