Volltext: Graf Stefan Tisza

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dieser Schreiben. Und in einem anderen behauptet Tisza: „Die 
großen Leistungen des deutschen Heeres bewundern wir en¬ 
thusiastisch, aber auch wir haben ein redliches Stück Arbeit 
geleistet und den Riesenkampf gegen eine zumindest andert¬ 
halbfache Übermacht glänzend durchgefochten'“. 
Die farbigsten und anheimelndsten Stücke dieser ausge¬ 
breiteten Korrespondenz, sind aber zweifellos die Briefe an 
die Brüder und an den Sohn, die Tiszas ausgeprägten Fami¬ 
liensinn und die angeborene, dem profanen Blick zumeist ver¬ 
borgen gebliebene Zärtlichkeit seiner Seele getreu wieder¬ 
spiegeln. Der jüngere Bruder, Ludwig, erhält im Frühjahr 
1915 in den Karpathen einen Bauchschuß und schwebt her¬ 
nach Monate lang zwischen Leben und Tod, deliriert, muß 
wiederholt operiert werden. Der andere Bruder, dem er über 
den Zustand Ludwigs mit banger Fürsorglichkeit berichtet, 
wird später selbst verwundet. Hiezu kommt dann die schwere 
Erkrankung von Tiszas Frau, die durch eine Gelenksentzün¬ 
dung für Monate ans Bett gefesselt wird und ihre volle Gesund¬ 
heit nicht wiedererlangt. Drei Patienten auf einmal, von denen 
die Frau seiner persönlichen Pflege untersteht, und eine Flut 
von Staatssorgen obendrein, — das alles vermag nur ein 
stählerner Charakter zu ertragen. Aber Tisza sendet inzwischen 
seine Briefe nach allen Himmelsrichtungen, erörtert mit dem 
Ballhausplatz und seinem Freunde Czemin schwerwiegende 
außenpolitische Fragen, erledigt hunderte von Bittgesuchen, 
verhandelt gleichzeitig in der Frage der neuen Wappen, bei 
denen auf seine Anregung Ungarns Sonderstellung schärfer 
herausgestrichen werden soll, und des Wirtschaftsausgleichs 
mit Österreich — und findet zwischendurch noch Muße, sei¬ 
nem im Felde befindlichen Sohne die zärtlichsten Briefe zu 
schreiben und über das Befinden seiner Patienten sachliche, 
eingehende Berichte zu senden, die den Tatbestand eines- ärzt¬ 
lichen Gutachtens erschöpfen. Dieser traurige Teil der Bericht¬ 
erstattung aber wird ergänzt durch frohe und oft schelmische 
Mitteilungen über das tadellose Befinden der von Tisza gera¬ 
dezu vergötterten Schwiegertochter und des kleinen Enkels, 
der „unser aller Stolz und Erheiterer ist“. Dann auch noch 
allerhand kurze Bulletins über die Kriegslage und der glü¬ 
hende Schlußpassus: „Gott segne und schütze Dich, mein herz- 
liebster, guter, braver Sohn. In heißer Liebe umarmt Dich 
Dein Vater“. 
Diesen innigen Familienbriefen können an Wärme nur
	        
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