Volltext: Graf Stefan Tisza

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Lukäcs übernahm — dem Parlament vorstellt, deutet darauf, 
daß nur recht wenig politisiert, doch umso emsiger gearbeitet 
werden soll. Der Wille zum unentwegten Pesthalten an der 
dualistischen Rechtsgrundlage von 1867 wird verkündet, auf 
die kroatische Lage, die sich in der jüngsten Zeit erheblich 
verschlimmert hat, wird kurz Bezug genommen, an die bessere 
Einsicht der Nationalitäten appelliert. Sodann weist Tisza 
auf die Notwendigkeit weiterer militärischer Opfer hin. Er 
stellt u. a. Reformen in der Arbeitergesetzgebung, die Verstaat¬ 
lichung der Komitatenverwaltung in Aussicht. Die Tendenz, 
einerseits die nationalen und sozialen Gegensätze auf der 
ganzen Linie zu mildern, andererseits aber aus der gespannten 
auswärtigen Lage ohne jedes Zögern und Feilschen die nötigen 
Konsequenzen zu ziehen, leuchtet durch. In einer zweiten 
Rede, die er am gleichen Tag in seiner Partei hält, gibt er 
sich etwas persönlicher. Es hieße ein politisches Harakiri be¬ 
gehen — bemerkt er dort —, wenn man die Flinte ins Korn 
werfen würde, bevor man seine Aufgabe vollendet habe. Der 
Vorwurf der Opposition, die Ordnung sei solange nicht her¬ 
gestellt, als sie den Sitzungen fernbleibe, sei in höchstem 
Maße illogisch. Schließlich ginge es doch nicht, die Schmol¬ 
lenden mit Gewalt in den Sitzungssaal zu schleppen, — nach¬ 
dem sie mit Gewalt entfernt worden sind. Es sei ihre Sache, 
zu überlegen, inwieweit sie durch ihr Fernbleiben die Landes¬ 
interessen schädigen. Für die Mehrheit bleibe nichts übrig, als 
auf dem eingeschlagenen Weg unbeirrt fortzuschreiten. 
Aber die innerpolitischen Perspektiven sind trotz alle¬ 
dem nichts weniger als gemütlich. Im Oberhaus, wo auch die 
Linkselemente zugegen sind, wird das neue Kabinett Tisza 
als ein bloß „kurzlebiger Versuch1“ apostrophiert, so daß sich 
Tisza zu der spitzen Erwiderung veranlaßt fühlt, das Zeit¬ 
alter der Propheten sei bereits mit dem alten Testament abge¬ 
schlossen. Doch auch die Opposition des Abgeordnetenhauses 
verharrt just nicht in idyllischer Passivität. Apponyi, Justh 
und Kärolyi beraten zusammen und beschließen die Fassung 
eines, gemeinsamen Programms. Kärolyi, der Radikalste in 
diesem Kreise, wird geschäftsführender Präsident der neuen 
Fusion. Andrässy bildet seinerseits eine besondere Oppositions¬ 
partei, mit der Zielsteckung, die „freiheitlichen Institutionen“ 
der Mehrheitswillkür gegenüber zu schützen. Das Verhalten 
der gesamten Opposition ist äußersts zwiespältig. Im Prin¬ 
zip bleibt sie außerhalb des Parlaments, von Fall zu Fall
	        
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