Volltext: Graf Stefan Tisza

227 
reieh-Ungarn in der Londoner Konferenz nicht ganz verein¬ 
samt da, fühlt es sich in bezug auf die Behandlung Rumä¬ 
niens nicht sogar von Deutschland im Stiche gelassen? Und 
wenn nur die Autorität dieser Konferenz vollauf zur Geltung 
käme! Aber die Enfants terribles Serbien und Montenegro 
setzen sich über deren Bestimmungen mutwillig hinweg, trei¬ 
ben an der albanesischen Grenze ihr Sonderspiel, wagen sich 
gegen den Beschluß sämtlicher Großmächte aufzulehnen. 
Näher noch als 1908 rücken für die habsburgische Monarchie 
Versuchung und Gefahr eines Krieges, und wenn man auf das 
Drängen des Generalstabschefs v. Conrad hört, der den Augen¬ 
blick vom militärischen Gesichtspunkte aus als gekommen, er¬ 
achtet, so sind die Würfel bereits im Herbst 1913 gefallen. 
Noch ein letztes Mal zieht das Gewitter vorüber, aber das ferne 
Grollen will nicht mehr schwinden. 
Die Zuspitzung der Balkanlage beobachtet Graf Stefan 
Tisza bereits als ungarischer Ministerpräsident und nimmt — 
in dieser Eigenschaft den gemeinsamen Ministerräten zugezogen 
und laut der ungarischen Verfassung für die Außenpolitik des 
Ballhausplatzes in jedem Falle verantwortlich — auf die 
Beschlüsse des Außenministeriums den regsten Einfluß. Sein 
scharfer Blick gibt sich über die Schwere der Gewitterwolken 
keiner Täuschung hin. Doch hütet er sich wohlweislich, die 
Brücken hinter sich in einem Augenblick zu sprengen, in dem 
die diplomatische Lage der Monarchie auf dem Balkan die 
denkbar ungünstigste ist. In doppelter Hinsicht bemüht er sich 
nun um die Herbeischaffung einer besseren Situation. Noch 
als Hauspräsident hat er im Frühjahr 1913 mit den Rumänen- 
führem in Siebenbürgen erneut Fühlung genommen. Nach der 
für Österreich-Ungarn so unerfreulichen Liquidierung des 
zweiten Balkankrieges widmet er sich mit vervielfachtem Eifer 
der Aufgabe, „den jungen, lebensstarken, selbstbewußten, ent¬ 
wicklungsfähigen rumänischen Volksstamm, der sich in seiner 
Mehrzahl bislang nicht in die gegebene Lage zu finden ver¬ 
mochte“, der Sache Ungarns und der Monarchie zu gewinnen. 
Gleichzeitig versichert er dem rumänischen Metropoliten von 
Hermannstadt, Metianu, in einem Offenen Brief, es habe 
stets den Leitgedanken seiner gesamten Regierungstätigkeit 
gebildet, den Landesbewohnem, die der ungarischen Sprache 
nicht mächtig sind, die gleiche Behandlung wie den Bürgern 
ungarischer Muttersprache einzuräumen. Diesen Brief diktiert 
er seinem bewährten Sekretär Keblovszky bei einem Unwetter, 
15*
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.