Volltext: Graf Stefan Tisza

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DAS WAHLRECHTSDILEMMA 
„Wollen wir dieses Land dem Verder¬ 
ben preis geben, nur weil wir einer 
Phrase gegenüber zu schwach sind?“ 
Immer heftiger ringt Tisza mit sich selbst und der 
Außenwelt in Angelegenheit des Wahlrechtsproblems. Von 
1905 bis 1913 währt der Kampf unablässig, im Abgeordne¬ 
tenhaus, in Volksversammlungen, Leitartikeln, auf der Straße 
und in der Seele der Patrioten, bis er schließlich durch das 
oppositionsfreie, durch W aff enge walt verhandlungsfähig 
gestaltete Parlament ganz nach Tiszas Willen und Vorstellung 
eine einseitige, allzu rasche Lösung findet. Die Arbeit, die 
Tisza inzwischen rhetorisch und literarisch bewältigt hat, um 
zu diesem halbnegativen Ergebnis zu gelangen, würde Bände 
füllen und gibt einen Maßstab von seiner übermenschlichen 
Leistungsfähigkeit. 
Wozu der Eifer? — so fragt man unwillkürlich. Ist es in 
der Tat eine Lebensfrage des ungarischen Staates, das Pro¬ 
blem just so und nicht anders zu lösen? Haben hier kompli¬ 
zierte Zwischenlösungen überhaupt irgendwelchen praktischen 
Wert? Die Forderung des allgemeinen Wahlrechts ist von der 
konsequent zu Ende gedachten Idee des Parlamentarismus 
schlechthin untrennbar. Die Berufung auf die parlamenta¬ 
rische Majorität als auf die Vertrauensmannschaft der Volks¬ 
mehrheit hat nur einen richtigen Sinn, wenn bei der getrof¬ 
fenen Auswahl das Volk als Gesamtheit, ohne Anwendung 
künstlicher Selektionsmaßnahmen, gesprochen hat. Befürch¬ 
tungen, ob gewisse Schichten oder Kategorien des Volkes die 
erwünschte Reife besitzen oder nicht, sind hiebei gänzlich 
irrelevant. Das Spintisieren über die möglichen Folgen der 
politischen Rechtsgleichheit scheint zweck- und nutzlos. Es 
handelt sich um ein demokratisches Grundprinzip, das —
	        
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