ZUR EINLEITUNG
Die echte Biographie ist nicht nur Nach-, sondern auch
Neuschöpfung. Darum scheut sie die Nähe. Tote, deren Gestalt
noch physisch in die Gegenwart herüberragt, deren Alltags¬
und Allnachtstreiben noch im Gedächtnis der Zeitgenossen
fortlebt, bieten selten einen dankbaren biographischen Stoff.
Es fehlt die Möglichkeit sowohl der epischen Abrundung wie
auch der dramatischen Straffheit. Bei aller leiblichen Nähe
sind diese Jüngstverstorbenen doch oft dem Blick des Histo¬
rikers und Ästheten unerreichbarer, als die Helden weit
zurückliegender Epochen. Sie scheinen den Tageskämpfen
bereits entrückt und doch noch nicht menschlich überblickbar.
Man vermißt noch das architektonische Walten der Distanz.
Bei dem Grafen Stefan Tisza muß diese Distanz nicht erst
im Warteraum der Geschichte gewonnen werden, denn er gab
sich schon bei Lebzeiten aus einer solchen Distanz, nicht etwa
im Sinne des Überheblichen oder Weltfremden, sondern in dem
des Auserwähltetn. Er kämpfte drei Jahrzehnte lang auf dem
Forum, für alle sichtbar, die ihn sehen wollten, von wunder¬
barer Empfänglichkeit für die tausenderlei Taktschläge des
flutenden Geschehens, von einem übermenschlichen Arbeits¬
eifer auch im Kleinen, dem politischen und publizistischen
Kleinkampf niemals ausweichend, — und doch stets nach fernen
Zielen auslugend; einer von jenen hoffnungslos Einsamen,
für die öffentliches Wirken, Macht und Diktatur bloße Mittel
sind, um die Massen zu beglücken. Wenn es sein muß, auch
gegen ihren Willen. Denn sie verstehen nicht, was er will. Alles
drängt in einem solchen Dasein zum tragischen Abschluß.
Dann, um diesen Preis, versteht man ihn schließlich doch.
Er ist in allen Poren ein faustischer Charakter. Aus ihm
strömt jene geheimnisvolle Gewalt, die mitschwingen macht,
aber auch mit Wucht von sich stößt. Man folgte ihm, man
haßte ihn leidenschaftlich, — gleichgültig war er keinem.
Dieser Doppelwirkung nach außen entspricht die seltsame
Polarität seines Wesens. Merkwürdig zäh hängt er an kleinen
ErSnyi: Graf Tisza.
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