Volltext: Graf Stefan Tisza

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kein Glück. Man läßt ihn gar nicht zu Worte kommen. „Wir 
wollen die selbständige Armee, früher geben wir nicht nach!“ 
— schallt es ihm im Chor entgegen. „Von den Deutschen war 
nie etwas zu erreichen“ (gemeint sind natürlich die Öster¬ 
reicher) , „wenn wir es nicht ertrotzt haben“ — ruft der un¬ 
entwegt radikale Ugron dazwischen. Vergeblich erklärt Tisza, 
es handle sich immerhin um ansehnliche Fortschritte. — 
„Schmach und Schande!“ — lautet die Antwort der Opposi¬ 
tionellen. Immer schriller wird der Lärm, und Tisza fühlt sich 
nun doch schon zu einer energischeren Sprachführung genötigt. 
„Die Wahrheit können Sie mit ihrer Stimme nicht unter¬ 
drücken !“ — entgegnet er den Skandalmachern, doch fügt er 
sogleich in milderer Tonart hinzu, er könne nicht glauben, 
daß die Gegenparteien versäumen würden, das Land aus der 
Kalamität der Exlex herauszuführen. — „Zum Selbstmord 
bieten wir nicht die Hand“, *— wird ihm prompt erwidert. Und 
so geht es fort und fort, während er sein Programm entfaltet, 
als leitende Gesichtspunkte seines Regimes den Liberalismus 
und den Frieden mit den nationalen Minderheiten bezeichnend. 
— „Herr Oberleutnant!“ — ruft ihm ein Unabhängiger zu, 
um durch diesen Zwischenruf den Fürsprecher der gemein¬ 
samen Armee zu treffen. Aber Tisza repliziert schneidend und 
schneidig, daß er zwar Oberleutnant der Reserve sei, doch nicht 
bei der gemeinsamen Armee, sondern bei der ungarischen 
„Honved“, daß er also auf dem Standpunkt des ungarischen 
Kommandos stehe. 
In der folgenden Sitzung findet Tisza bereits seine feste, 
treffsichere Ausdrucksform wieder. Die Gefahr für die natio¬ 
nale Selbständigkeit, die die Opposition immer wieder als 
Rechtstitel für ihre Temperamentsausbrüche ins Treffen führt, 
erledigt er mit dem trockenen Hinweis, es habe zwar Zeiten 
der nationalen Bedrängung gegeben, in denen der wahre Patriot 
auch vor dem Galgen nicht zurückgeschreckt sei, daß er aber 
im gegenwärtigen Augenblick keine Anregung finde, sich 
unter den Galgen zu stellen. 
Indes währt die Obstruktion ohne Unterlaß fort, und kein 
Argument, keine Beschwichtigung oder Gewissensmahnung 
reicht hin, um ihren Kampfeifer zu dämpfen. Selbst die In¬ 
demnität vermag sich Tisza von den Ruhestörern nicht zu er¬ 
trotzen, und der Exlex-Zustand währt demnach fort. Da be¬ 
schließt er denn, anstelle fruchtloser Halblösungen aufs Ganze 
lpszusteuern. Er verzichtet auf die Indemnitätsdebatte und
	        
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