Volltext: Graf Stefan Tisza

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Apponyi, der sein Amt eines Hauspräsidenten niederlegt 
und der sich im übrigen das Recht der Kritik auch im Mehr- 
heitsverbande vorbehält, ist mit seiner „kritischen Eloquenz“ 
ein unerwünschtes Fremdelement in der Regierungspartei. 
Auch sonst wird dem neuen „Retter aus der Not“ just nicht 
der freundlichste Empfang zuteil. Ein Blatt der gemäßigten 
Opposition bezeichnet es als ein unerquickliches Symptom, 
daß gerade der „unangenehmste Politiker“ mit der Kabinetts¬ 
bildung betraut werden mußte. Doch immerhin ist die erste 
Schwierigkeit glücklich überwunden, und Tisza kann nun sein 
Kabinett zusammenstellen. Es enthält einige starke Persönlich¬ 
keiten. Der gediegene Wirtschaftskenner Hieronymi wird 
Handelsminister, Lukäcs, bereits seit den Tagen Bänffys an 
der Spitze des Finanzportefeuilles und als eigentlicher Urheber 
der „Ischler Klausel“ verschrien, von der es sich nie erwiesen 
hat, überhaupt zu existieren, behält auch unter Tisza seinen 
Posten, als Unterrichtsminister fungiert der illustre Parlamen¬ 
tarier, Essayist und spätere Historiker Berzeviczy. Die übri¬ 
gen Mitglieder rekrutieren sich —i wie es unter einem Chef 
von überschäumender Willenskraft in der Regel der Fall zu 
sein pflegt — aus Männern von grauem Mittelmaß. 
So zieht denn Graf Stefan Tisza von seiner bescheidenen 
Privatwohnung in den herrlichen Empirepalast am Festungs¬ 
hügel um, von dessen Terrassen der Blick südlich durch die 
Prunkanlagen der Königlichen Burg, nördlich durch das feine 
architektonische Spitzenwerk der Krönungskirche und Fischer¬ 
bastei gefangengenommen wird, östlich aber, über die Donau¬ 
windungen hinweg, auf den hundert Giebeln des Parlaments 
und auf den unzählbaren Dächern, Türmen und Schloten der 
jäh emporgewachsenen ungarischen Hauptstadt ruht. Das 
Panorama weckt unwillkürlich Prätensionen und öffnet Per¬ 
spektiven, es gemahnt an Kämpfe und Schöpfungen der Ver¬ 
gangenheit und verpflichtet für die Zukunft. In diesem Milieu 
herrscht Tisza, der Zweiundvierzig jährige, bisher Ungarns 
jüngster Ministerpräsident. Das Domizil ist ihm von Vaters 
Zeiten her wohlbekannt, — doch damals war es für ihn nicht 
die Heimat. Soll es nun zu einer solchen werden? Das vom 
Stigma einer stählernen Energie gezeichnete Antlitz ist noch 
furchenlos, die aufreibenden Kämpfe und Sorgen haben ihre 
Spuren noch nicht hinterlassen, aus dem klaren, fordernden 
Blick fehlt noch die forschende Tiefe späterer Jahre. Sollte 
der Mann, der in seinem uferlosen Tatendrang doch auch der
	        
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