Volltext: Graf Stefan Tisza

90 
unbeschränktem Maße, für den eindringlichen Ton seines 
Offenen Briefes ist ihm die allerhöchste Anerkennung aus¬ 
gesprochen worden. Er braucht nicht sehr lange zu warten. 
Khuen-Hederväry vermag sich zwar zuerst in das Vertrauen 
der Parteien einzuschmeicheln, aber rasch entstehen neue 
Mißverständnisse. Die Obstruktion lebt trotz der von der 
Tagesordnung abgesetzen Armeenovelle erneut auf, und es 
gelingt den Lärmmachern nach kaum sechswöchiger Regie¬ 
rungszeit des neuen Kabinetts, dieses durch die Lüftung einer 
Bestechungsaffäre und andere Skandalszenen zur Strecke zu 
bringen. Doch scheitern sämtliche Kombinationen zur Lösung 
der Krise: Wekerle, Apponyi, Szell und der unverwüstliche 
Finanzminister Lukäcs wissen alle nichts auszurichten. Khuen- 
Hederväry muß einstweilen auf seinem Posten verharren. 
Bald ergeben sich Zwischenfälle, die die Lage noch mehr 
trüben. Die langen parlamentarischen Wirren in Ungarn 
haben zum ersten Male seit dem Ausgleich einen entschiedenen 
Kräfteüberschuß des österreichischen Parlaments zur Folge. 
Koerber ist der Mann, der die auseinanderstrebenden Geister 
im Wiener Reichsrat zu bannen, die Genehmigung der Rekru¬ 
tenerhöhung durch das österreichische Parlament durch¬ 
zufechten verstand, und nun setzt er allen seinen weiteren 
Ehrgeiz darein, gegen die ungarischen Sonderbündler Trümpfe 
auszuspielen. So veranlaßt er denn mit dem Generalstabschef 
Beck den nachher zu trauriger Berühmtheit gelangten Armee¬ 
befehl zu Chlopy. „Mein Heer möge wissen" — heißt es in 
diesem Befehl —, „daß ich nie der Rechte und Befugnisse mich 
begebe, die dem Obersten Kriegsherrn verbürgt sind. Einheit¬ 
lich und gemeinsam, wie es ist, soll mein Heer bleiben, die 
starke Macht zur Verteidigung der österreichisch-ungarischen 
Monarchie gegen jeden Feind." 
Ganz Ungarn rast vor Entrüstung, selbst die Liberale 
Partei stößt in die Kriegsfanfare, und Khuen-Hederväry, der 
Ministerpräsident im Kündigungsetat, ist gezwungen, den 
Kampf mit der Wiener Gegenklique aufzunehmen und solange 
zu drängen, bis er vom Monarchen eine Handschrift empfängt, 
durch die die aufwirbelnde Wirkung des Armeebefehles von 
Ohlopy einigermaßen gemildert wird. Auf Grund dieser Hand¬ 
schrift stellt er sich noch einmal an die Spitze einer proviso¬ 
rischen Regierung, um die wahnwitzig gewordenen Leiden¬ 
schaften abzurüsten. Doch schon in den nächsten Tagen muß 
er sich von der Eitelkeit seines Beginnens überzeugen. Koerber
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.