Volltext: Graf Stefan Tisza

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fordern. Das ist natürlich Öl aufs Feuer der Obstruktion. Zwi¬ 
schen auf ge wiegelter Universitätsjugend und Polizei kommt 
es zu blutigen Zusammenstößen. Gleichzeitig mit der Ver¬ 
schärfung der Lage finden in Kroatien ungarfeindliche De¬ 
monstrationen statt, wie denn der Unfug der ungarischen 
Separatisten in der Regel auch die Kroaten infiziert. In 
Kroatien war damals von einer großserbischen Bewegung noch 
wenig zu verspüren. Die sich auf eine sehr starke Volks¬ 
strömung stützende Frank-Partei propagierte indes unter 
kaiser- und reichstreuen Devisen die Loslösung von der Heili¬ 
gen Stefanskrone. Wohl hatte Kroatien seine eigene Gesetz¬ 
gebung, überdies entsandte der kroatische Landtag ins unga¬ 
rische Parlament seine zumeist in kroatischer Sprache prote¬ 
stierenden Vertreter; doch immerhin übte der von der Buda- 
pester Regierung ernannte Banus schärfste Kontrolle aus* und 
einen besonders empfindlichen Punkt bildeten die das kroa¬ 
tische Land durchquerenden ungarischen Staatsbahnlinien mit 
ihrer Geschäftsführung und ihren Ortsbezeichnungen in unga¬ 
rischer Sprache. 
Bei dieser allgemeinen Verschärfung der Lage spielt 
Szell immer noch den gemütlichen Taktiker. Vergeblich tritt 
Tisza mit seiner Idee einer durchgreifenden Geschäftsordnungs¬ 
revision wieder auf den Plan, Szell stellt sich auf die Platt¬ 
form der passiven Resistenz, seine Ansicht ist, man müsse die 
Obstruktion austaufen lassen, zwischendurch aber geht er in 
Verhandlungen mit den Gegnern ein, die von allem Anfang 
zum • Scheitern verurteilt sind. Da verliert man schließlich 
in Wien die Geduld und das Vertrauen zur Szellschen Taktik, 
man wünscht eine rasche und radikale Lösung. An diesem 
Stimmungswechsel am Hof hat der Thronfolger Erzherzog 
Franz Ferdinand, der sich nach Überwindung der Schwierig¬ 
keiten, die man ihm wegen seiner morganatischen Ehe be¬ 
reitete, jetzt immer energischer um Armee und Politik zu 
kümmern beginnt, entscheidenden Anteil. Dem Erzherzog ist 
die ungarische Sonderstellung in der Monarchie ein Dorn im 
Auge, sie zeigt sich als das schärfste Hindernis seiner föderali¬ 
stischen Pläne, durch die er die kranke Monarchie reorgani¬ 
sieren möchte, er haßt die selbstherrlichen ungarischen Mag¬ 
naten und ihren Kampf um neue Attribute der Selbständig¬ 
keit und straft sie, indem er Budapest bei seinen Dienstreisen 
sozusagen nur im Fluge berührt. Sein Einfluß beim Herrscher 
ist nicht allzu groß, doch immerhin gelingt es ihm, dessen
	        
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