Volltext: Kreuzweg eines Kaisers

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seinem Haß verfolgt hatte, folgte er dem Leichenzug mit 
seinen Blicken vom Hof des Belvedere. Es ärgerte ihn, als 
Czernin ihn dabei überraschte, wie Tränen in seinen 
Augen standen. 
Vielleicht schlug ihm unter der Oberfläche doch ein Herz. 
Wer ihn genauer kannte, sagt, daß er eher erregbar als 
herzlos war. Er hatte Sinn für Humor, der allerdings ein 
wenig mit sarkastischer Schärfe gewürzt war. Wiener 
Musik bereitete ihm großes Vergnügen. Er war ein an 
genehmer Gastgeber, der seinen Gästen ihre Wünsche von 
den Augen ablas und eine lebhafte, witzige Konversation 
zu führen verstand. Wenn er wollte, konnte er gegen 
hodi und nieder von unwiderstehlicher Liebenswürdigkeit 
sein. Die Gesellschaften bei ihm standen in scharfem Ge 
gensatz zu den vom steifen spanischen Zeremoniell regier 
ten Empfängen am Hofe Franz Josephs. Er liebte es auch, 
mit dem Volke zu sprechen, dessen urwüchsige Art ihm 
Spaß machte. 
Franz Joseph gewährte viele Audienzen, aber nach dem 
Grafen Stürgkh hatten sie den Charakter militärischer 
Rapporte. Franz Ferdinand hielt sich die Menschen eher 
fern und überließ es seinen Flügeladjutanten Brosch und 
Bardolff, mit den Audienzwerbern zu verhandeln. Wenn 
er aber empfing, so zeigte er sich freundlich und versprach 
gern eine günstige Erledigung, was zu ungewollten Ent 
täuschungen führen konnte. Er betrachtete eine Audienz 
als eine Gelegenheit, sich zu informieren. Er erweckte 
Hoffnungen und sprach mit Vorbehalten, nur um Dis 
kussionen zu vermeiden. Er wechselte auch seine Ansichten 
und Entschlüsse, es ist aber durchaus unbillig, wenn ihn 
Czernin der Unaufrichtigkeit zeiht. Während Kaiser Karl 
den Menschen von Haus aus und so lange wie möglich 
vertraute, trat ihnen Franz Ferdinand mit Mißtrauen ent 
gegen. Wie der Erzherzog einmal Conrad gegenüber 
äußerte, hielt er jeden für einen „gemeinen Kerl“, ehe er
	        
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