Volltext: Kreuzweg eines Kaisers

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Wenige, die ihn auf der Höhe seines Lebens sahen, hätten 
in ihm den ein wenig schlaffen, schmächtigen Jüngling mit 
dem strohgelben Haar und den wasserblauen Augen wie 
dererkannt, den man oft im Theater gesehen und mit 
lockeren Geschichten in Verbindung gebracht hatte — 
späteren Erfindungen seiner zahlreichen Feinde. 
Seine stählerne Willenskraft, sein scharfer Verstand und 
seine starke, eigenartige Persönlichkeit haben sich erst 
später entwickelt. Er hatte wenige, aber tiefe Zuneigun 
gen — so zu seiner Stiefmutter, Erzherzogin Maria The 
resia, Tochter des Dom Miguel von Braganza, exilierten 
Königs von Portugal. Er nannte sie „liebe Mama“ und 
schrieb ihr von Zärtlichkeit überströmende Briefe, die 
erhalten geblieben sind. Er war begabt und gebildet, 
schrieb gut und schätzte Musik und Theater fast ebenso 
sehr wie die Jagd. 
Den Traditionen seines Hauses folgend, schlug er schon 
früh die militärische Laufbahn ein. Im Alter von fünf 
zehn Jahren zum Leutnant ernannt, erregte er niemandes 
Aufmerksamkeit und erwarb auch keine besondere An 
erkennung. Der rätselhafte Tod des einzigen Sohnes des 
Kaisers Franz Joseph, des Kronprinzen Rudolf, im Jahre 
1889, der trotz den emsigen Bemühungen zahlreicher 
Schriftsteller wohl ebenso ein Geheimnis bleiben wird wie 
der Mann mit der Eisernen Maske, rückte Franz Ferdi 
nand zum erstenmal in den Vordergrund. Er war nun 
der Erbe des ältesten Thrones in Europa, denn sein Va 
ter Karl Ludwig hatte nicht den Wunsch zu regieren. 
Nun wurde jede seiner Handlungen kritisiert, und sein 
merkwürdiges Talent, sich Feinde zu erwerben, konnte 
sich entfalten. 
Im Jahre 1890 wurde er Oberst. Zwei Jahre verbrachte 
er als Kommandant der Husaren in Ödenburg, wo er 
zum erstenmal die Bekanntschaft Ungarns und — der 
Ungarn machte! Im Jahre 1892, also im Alter von neun
	        
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