Volltext: Kreuzweg eines Kaisers

das Opfer der Krone zu bringen. Der Staatskanzler for 
derte die Abdankung mit Berufung auf die im Manifest 
enthaltene Verheißung, die Entscheidung des Volkes über 
die Staatsform anzuerkennen. Worauf er die Antwort er 
hielt, daß die Republik von einer nicht vom Volke er 
wählten provisorischen Nationalversammlung prokla 
miert worden wäre; daß die jüngsten Wahlen im Zeichen 
des Terrors und gar nicht im ganzen deutschösterreichi 
schen Staatsgebiet, dafür aber unter Teilnahme von Aus 
ländern erfolgt wären; sie seien daher nicht als Ausdruck 
des Volkswillens zu betrachten; und was die fortwähren 
den Drohungen gegen Seine Majestät und das von der 
Regierung geduldete Auftauchen bewaffneter Banden in 
Eckartsau anbeträfe, hätte der für die Sicherheit Seiner 
Majestät verantwortliche britische Offizier seine Regierung 
gebeten, sofort für einen sicheren Platz zu sorgen. 
Im Frühjahr 1925 unternahm Lloyd George eine Reise 
nach Madeira. Wie es jetzt modern ist, teilte er seine Reise 
eindrücke einer Zeitung mit. Einen oberflächlichen Leser 
mögen sie sympathisch anmuten; wegen ihrer verschiede 
nen Ungenauigkeiten vermitteln sie aber einen falschen 
Eindruck. 
„Ende Oktober oder Anfangs November 1918“, schrieb 
er, „hielt ich ein ,Karl‘ unterzeichnetes Telegramm in mei 
nen Händen, mit dem er mich bat, ihm ein Asyl in der 
Schweiz zu verschaffen.“ 
Nun ist es ganz unmöglich, daß der Kaiser damals ein sol 
ches Telegramm abgesandt haben könnte. Er hatte Ende 
Oktober oder anfangs November nicht die leiseste Ab 
sicht, sein Land zu verlassen, und Lloyd George zu tele 
graphieren, wäre ihm nicht im Traume eingefallen. Übri 
gens gab es damals gar nicht die Möglichkeit eines tele 
graphischen Verkehrs mit dem Feinde, und wenn sich der 
Kaiser der Vermittlung eines neutralen Diplomaten be 
dient hätte, hätte dieser Schritt seine Spuren zurücklassen
	        
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