Volltext: Kreuzweg eines Kaisers

228 
ten den Kindern noch nach, als Gödöllö bereits außer Sicht 
gekommen war. 
In Wien herrschte das Chaos. Der wohlmeinende Pro 
fessor Lammasch war der letzte Ministerpräsident des 
Kaisers geworden. Jeder Wichtigtuer bot seinen Rat an 
und warnte vor dem Unvermeidlichen. Ein Manifest, das 
Österreich in einen Bund freier Völker umwandelte, war 
erlassen worden. Doch es war zu spät gekommen. 
Nachrichten über die Auflösung der Ordnung kamen auch 
von der Front. Die ungarischen Revolutionäre hatten ihre 
Truppen heimberufen. Lücken klafften in der Front, durch 
die der Feind unaufgehalten dringen konnte. Dies zwang 
zum Abschluß eines Waffenstillstandes. Als die kaiser 
lichen Truppen einen geordneten Rückzug organisieren 
wollten, wurden die Feindseligkeiten wieder aufgenom 
men. Es wurde in sie hineingeschossen, was sie zu einem 
überstürzten Abzug durch die Gebirgstäler zwang. Viel 
fach wurden sie auch abgeschnitten. Dies, und nur dies 
allein, ermöglichte es den Italienern, Tausende von nichts 
ahnenden, sich nicht mehr verteidigenden Soldaten gefan 
gen zu nehmen. Ganze Armeekorps mit allen ihren Waf 
fen und Trains wurden abgefangen, als sie friedlich nach 
Hause ziehen wollten. „Das war“, rief ein Österreicher 
mit vielleicht verzeihlicher Bitterkeit aus, „der ruhmreiche 
Sieg von Vittorio Veneto!“ 
An der russischen und der Balkanfront gab es ein allge 
meines Sauve qui peut. Tschechen, Kroaten, Deutsche, Po 
len und andere österreichische Truppen folgten dem un 
garischen Beispiel und eilten nach Hause. Einige kleine 
Abteilungen hielten die Disziplin aufrecht und schlugen 
sich auch nach Hause durch. In den wenigen Zügen ging 
es wie in einem Bienenkorb zu. Flüchtlinge hingen an den 
Türklinken, Viehwagen waren voll Menschen. Lange Rei 
hen kläglicher Menschen wälzten sich, von Abfällen lebend 
und um Brotkrumen bettelnd, durch unbekanntes Land.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.