Volltext: Die Lebensbeschreibung Severins als kulturgeschichtliche Quelle (2 ; 1903)

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begnadet ist, und wenn er auch keine besondere Amtsstellung hat, so 
sind doch die kirchlichen Beamten der Provinz eigentlich nur die Voll 
strecker seines Willens und des in diesem wirksamen Willen Gottes. 
Aber Severin erscheint doch zugleich als Vertreter der Kirche und zwar 
des orthodoxen katholischen Kirchentums, und so steht er immerhin 
auf den Schultern Cyprians und Augustins. 
Zur Erkenntnis der Grundanschauung Severins ist nächst seinem oft 
bezeugten Eifer für den katholischen Glauben keine Erzählung der vita 
bezeichnender als die des 31. Kapitels: Als der Rugierkönig Feva die 
römische Bevölkerung von Lorch durch anderweitige Ansiedelung in 
den ihm tributpflichtigen Städten vor den Beutezügen der Alamannen 
und Thüringer sichern wollte, da mahnte ihn der Heilige an den ge 
horsamen Sinn seines Vaters, der nichts ohne Severins Rat unternommen 
habe, und forderte ihn auf, ihm selber das Volk von Lorch zu über 
geben 1 ). Fevas politisch klugen Plan, die Römer zu verpflanzen und 
den Romanismus durch eine Kolonisation vor dem Untergang zu retten, 
hat der heilige Severin also nicht verworfen. Aber nicht die weltliche 
Macht sollte den Plan verwirklichen, sondern er selber, der Mann Gottes, 
der „vertraute auf seinen Herrn, der ihn zum Zeugen der Leiden dieser 
Leute berufen hat“. Demgegenüber beachte man weiter, daß Severins 
Hauptfeindin, die energische, in ihrem arianischen Bekenntnis fest 
wurzelnde Rugierfürstin Giso, die von der versöhnlichen Politik ihres 
Gemahls durchaus nichts wissen wollte 2 ), ihm einmal die spitzen Worte 
zurief: „Bete für dich, Knecht Gottes, in deinem stillen Kämmerlein; 
uns aber gestatte, mit unseren Knechten zu schalten, wie uns beliebt!“ 3 ) 
Getreu jenem weltfreudigen Arianismus, dem ein Mönchtum überhaupt 
unbekannt war 4 ), hat sie die Einmischung des mönchischen Kirchen 
mannes in weltliche Dinge aufs schärfste zurückgewiesen. 
Severin ist kein Theoretiker wie die Lehrer der alten Kirche, aber 
auch kein eigentlicher Wundertäter gewesen wie die Heiligen des 
*) Cap. 31,3: (pater tum) cunctis regni sui temporibus nihil me inconsulto gerere prae- 
sumebat (p. 40, 7). Cap. 31, 5: nunc ergo consilium meum ne respuas, fidei meae hos committe 
subiectos; confido enim in domino meo, quod ipse, qui me fecit horum calamitatibus interesse, 
in perducendis eis idoneum faciet promissorem (p. 40, 22). 
2 ) Cap. 8, 1: hunc coniunx semper a clementiae remediis retrahebat (p. 19, 6). 
3 ) Cap. 8, 2: ora, inquit, tibi, serve dei, in tua cellula delitescens: liceat nobis de servis nostris 
ordinäre quod volumus (p. 19, 18). Vergl. Jung, Römer und Romanen in den Donauländern S. 251. 
4 ) Yergl. Ficker, Zeitschrift für Kirchengeschichte XXI 27.
	        
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