Volltext: Die Lebensbeschreibung Severins als kulturgeschichtliche Quelle (2 ; 1903)

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gegen den Kapitalismus gerichteten Sozialismus, der die Produktions 
mittel vergesellschaften will, unterscheidet und mit ihm nur jene eine 
Tendenz teilt, im Wirtschaftsleben möglichst den Grundsatz der Gleich 
heit aller zur Geltung zu bringen. Zum Teil hat ja Severin lediglich 
erstrebt, durch die Institutionen, die er ins Leben rief, Norikum die 
Selbständigkeit des Wirtschaftsgebietes, die Unabhängigkeit von der 
Nahrungsmittelzufuhr aus fremdem Produktionsgebiet zu sichern 1 ). Aber 
dieses Ziel stand für ihn eigentlich doch in zweiter Linie. Die wirtschaft 
lichen Verhältnisse von Norikum stellten ihm eindringlich das Problem: 
Wie lassen sich die Gegensätze von Reichtum und Armut versöhnen ? 
Gerade zu Beginn seiner Tätigkeit in der Provinz hatte sich ihm dieses 
Problem mit ganzer Gewalt auf gedrängt. Dort die Armen in Favianis, 
die jene schreckliche Hungersnot bedrängte, und hier die reiche Pro- 
cula, die einen großen Vorrat an Feldfrüchten besitzt, aber den Armen 
nicht herausgibt, „eine Magd ihrer Begierden“ und „eine Sklavin der 
Habsucht“ (cupiditatis ancilla et avaritiae mancipium cap. 3, 2), die Ver 
treterin der Willkür einer Klasse, die zur wirtschaftlichen Unterjochung 
einer anderen führen muß. 
Zunächst scheint Severin nur allgemein Almosen, „heilige“ oder „gute 
Werke“ für jeden Einzelfall der Not gefordert zu haben. Allmählich 
aber ersteht bei ihm der Gedanke, dem jammervollen Zustand für immer 
ein Ende zu machen und dauernd zu verhindern, daß die Reichen den 
Armen die Humanität versagen (humanitatem hominibus denegare 
cap. 3, 2). Zu diesem Zweck organisiert er den kirchlichen Zehenten: 
aus Gaben aller Bevölkerungsklassen, die in Kleidern und Feldfrüchten 
bestehen, werden kirchliche Magazine gebildet, und deren Vorrat soll 
die wirtschaftlich Schwachen mit dem notwendigen Unterhalt versorgen. 
Das Ziel dieser Organisation ist es, in Norikum die ganze Gesellschaft 
mit dem Geist barmherzigen Christentums zu durchdringen und mit 
Hilfe dieses Geistes eine gerechte Verteilung aller notwendigen 
Lebensgüter herbeizuführen. 
Severin ist ein praktischer Organisator und kein Theoretiker ge 
wesen. Aber er ist von den Wirtschaftstheorien ausgegangen, die 
sich in der alten Kirche entwickelt und geformt hatten. Freilich, die 
kommunistischen Tendenzen, die sich auf Grund des platonischen 
*) Sommerlad, Die wirtschaftliche Tätigkeit der Kirche in Deutschland I 163.
	        
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