Volltext: Die Lebensbeschreibung Severins als kulturgeschichtliche Quelle (2 ; 1903)

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Jedenfalls ist die Getreideproduktion der Provinz Norikum nicht in 
dem Maße stetig und gleichmäßig, daß sie den Nahrungsbedarf aller 
Bewohner zu allen Zeiten zu decken vermag. In Favianis herrscht 
eine schreckliche Hungersnot, weil die Schiffe, die aus Rätien Lebens 
mittelzufuhr bringen sollten, während der grimmigen Winterkälte im 
Eise des Inn festgelegen hatten 1 ). Außer dem Getreide gibt es in 
Norikum noch einen zweiten Artikel der Einfuhr: das Öl. „Dieser Stoff 
war sehr selten in jener Gegend (bei Lorch) und wurde nur durch Kauf 
leute eingeführt * 2 )“, so sagt die vita in Kapitel 28. Eugippius erzählt 
uns dort weiterhin, daß die Flüssigkeit sehr kostbar und gerade für die 
Bedürftigen von hohem Werte war. Wir wissen auch sonst, daß dieses 
vegetabilische Fett dem ganzen Altertum als unentbehrliches Mittel für die 
Zubereitung der Speisen gegolten hat. Aber jene Verbreitung des 
Ölbaues weiter nach Norden, von der ein römischer Landwirt des 1. Jahr 
hunderts v. Chr. zu reden wußte 3 ), scheint, vielleicht gerade infolge des 
wiederholt ausgesprochenen Verbotes der transalpinischen Ölproduktion 4 ), 
nicht vorangegangen zu sein. So hat Italiens Ölzufuhr auch noch im 
5. Jahrhundert n. Chr. offenbar geblüht, wenigstens hier nach Norikum 
hin, das ja gewissermaßen stets ein Vorland Italiens geblieben ist 5 * ). 
Welche Werte, die in Norikum selber erzeugt wurden, als Tausch 
mittel bei dieser Getreide- und Öl zu fuhr funktioniert haben, ent 
zieht sich unserer genaueren Kenntnis: möglich immerhin, daß der 
Obst- und Weinbau und die Bienenzucht, vielleicht auch die Erzeug 
nisse der barbarischen Schmiedekunst die nötigen Exportartikel ge 
liefert haben. 
*) Cap. 3, 1: saeva fames (p. 13, 14). Cap. 3, 3: rates plurimae de partibus Raetiarum 
mercibus onustae, quae multis diebus crassa Aeni fluminis glacie fuerant colligatae: quae dei 
imperio mox soluta ciborum copias fame laborantibus detulerunt (p. 14, 1). 
2 ) Cap. 28, 2: quam speciein in illis locis difficillimam negotiatorum tantum deferebat evectio 
(p. 36, 15). Mommsen gibt zwar im Text ,, difficillima“, aber handschriftlich sehr verbreitet 
ist das m. E. zur Satzkonstruktion wie zum Sinne besser passende „difficillimam“. 
3 ) Bei Columella, De re rustica I 1, 5. 
4 ) S. Mommsen, Römische Geschichte II 7 (1881) S. 160. 392. 394. 
5 ) Mommsen, Römische Geschichte V 4 (1894) S. 181. Über Beziehungen Norikums zu 
Italien vergl. vita Severini cap. 5, 1 (p. 16, 32); cap. 6, 6 (p. 18, 24); cap. 7, 1 (p. 19, 1); 
cap. 20, I (p. 31, 7); cap. 44, 4. 5 (p. 52, 21. 28); epistola ad Paschasium 7 (p. 3, 23). 
Cassius Dio 49, 36 sagt auch, in Pannonien sei nur wenig Öl vorhanden, und der Gebrauch 
ordentlichen Öles machte neben dem Weintrinken erst die Leute zu Römern.
	        
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