Volltext: Die Lebensbeschreibung Severins als kulturgeschichtliche Quelle (2 ; 1903)

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der in ihm nachwirkenden älteren, wie der sich ankündigenden späteren 
Zustände, anderseits aber zu einem Verständnis der Beweggründe und 
der Handlungen des Heiligen selber vorzudringen vermögen. Die in 
diesem Zusammenhang gewonnene Erkenntnis der Persönlichkeit wird 
aber letztlich wiederum zu einem wesentlichen Bestandteil allgemein 
geschichtlicher Erkenntnis überhaupt. Die Beantwortung der Frage, 
wie gerade zu einer vorliegenden Zeit das Zuständliche von einer be 
stimmten Persönlichkeit verwertet worden ist, vermittelt die Einsicht 
in die Eigenart der Persönlichkeiten einer Zeit überhaupt, und der weitere 
Schluß liegt nahe: So und so war jene Zeit, weil sie so auf einen Mann 
gewirkt hat; in einer anderen Zeit hätten die gleichen Zustände eben 
andere persönliche Wirkungen erzielt. 
Das Problematische, was der von einem nachschaffenden Historiker 
entworfenen Milieuschilderung eigentlich stets anhaftet, ist bei einer 
Biographie, die von einem gleichzeitigen verständigen Autor geschrieben 
ist, natürlich auf ein Mindestmaß beschränkt. Und ein verständiger 
Autor war der Verfasser der vita Severini, der Klostervorsteher von 
Lucullanum, Eugippius. 
Wunder- Die vita Severini soll das Leben eines Heiligen zur Darstellung 
geschickten, k r i n g en) un d s0 ist es denn natürlich, daß die kirchlichen und religiösen 
Verhältnisse deren hauptsächlichsten Inhalt ausmachen. Aber, wie es 
die vita vermeidet, nach der Weise der panegyrischen Heiligenleben 
„in einem Stil zu schreiben, daß viele Mühe haben, ihn zu verstehen“ 1 ), 
so hat sie zwar auch Wundergeschichten aufgenommen (sie gehörten 
nun einmal in ein Heiligenleben) 2 ), aber doch nicht übermäßig in 
*) Eugippii epistola 2: ne tali vitam sermone conscriberet, in quo multorum plurimum 
laboraret inscitia (p. 2, 2). Vergl. im allgemeinen Ebert, Allgemeine Geschichte der Literatur 
des Mittelalters I 429. Georg Kaufmann, Rhetorenschulen und Klosterschulen, Historisches 
Taschenbuch IV 10, 1869 S. i8f. (besonderer Abdruck). 
2 ) Dahin gehört auch, daß die Gebeine der Heiligen nicht Verwesungsgeruch, sondern 
liebliche himmlische Düfte ausströmen (vergl. Eicken, Geschichte und System der mittelalter 
lichen Weltanschauung S. 317. Ebert a. a. O. III 213. Augustin, Confessiones IX 7). Vita 
Severini cap. 44, 6: quo patefacto tantae suavitatis fragrantia omnes nos circumstantes accepit 
(p. 53, 6) — — integram corporis compagem repperimus (p. 53, 10). Vielleicht darf man 
auch hierhin die Bemerkung der vita cap. 43, 1 zählen: coepit tenuiter lateris dolore pulsari 
(p. 49, 30 — ähnlich Einhardi vita Caroli Magni cap. 30: accedente lateris dolore). Der 
Heilige leidet gleich Christus, den der Lanzenstich des Kriegsknechts in die Seite getroffen 
hat, Schmerz in der Seite, ehe er stirbt.
	        
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