Volltext: Geschichte der Stadt Gmunden in Ober-Österreich. Erster Band (1 / 1898)

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Sociale Verhältnisse. 
Mit dem Aufbringen des nöthigen Menschenmateriales waren gewöhnlich 
die Grnndherrschaften betraut, und sollten diese darauf bedacht sein, stets „die 
schönsten Burschen in gleich großer Länge bis zu acht Schuh" einzuliefern. Auf 
diese Weise wurden in den Jahren 1760 —1764 allmählich die kräftigsten Leute 
meist wider ihren Willen eingezogen, während andere wieder, um dem Soldateu- 
loose zu entgehen, außer Landes flüchteten. So kam es, daß nicht nur die Land- 
wirtschaft darunter litt, sondern auch ein ziemlicher Mangel an tauglichen Leuten 
eingetreten war, und man sich de» Bedarf unter Anwendung roher Gewalt „auf 
das Genaueste zusammensuchte". Als im Jahre 1765 der Pfleger von Altpernstein 
einen seiner Unterthanen, tvelcher als Knecht bei dem Beneficiaten zu Ohlstorf 
bedienstet war, als Rccruten requiriren wollte, wurde, um ihn „abzufangen", das 
Personale der Herrschaft Ort, u. zw. deren Amtmann in Ohlstorf nebst drei 
Landgerichtsdienern mit fünf Fanghunden aufgeboten. Der Gesuchte konnte sich 
nur dadurch retten, daß der Beueficiat sein Haus als Freistätte erklärte, und den 
Schergen das Eindringen wehrte. Dafür fiengen die nämlichen Gerichtsdiener 
dem Pfarrer von Kirchham, der auf einen „Versehgang" ausgefahren war, während 
er im Hause des Kranken weilte, seinen Knecht vom Wagen weg. Die auf solche 
Weise „Angeworbenen" wurden stets in Eisen geschlossen ihrer Bestimmung zuge¬ 
führt. In diesen traurigen Zeiten ist aber „sogar der Menschenhandel und 
-Verkauf in Schwung gegangen; da nemlich einige Herrschaften nit mit rechten 
Burschen aufkommen konnten, so erhandleteu sie dieselben um ein nicht geringes 
Geldt zu großem Jammer und Elend mancher alterlebter Eltern von anderen 
Pflegern und Verwaltern, die unter ihren Unterthanen noch mehr taugliche Leut' 
hatten". Es ist darum begreiflich, daß wer nur immer konnte, seine Söhne „um 
50, 100, ja 2 — 300 Gulden" int Wege der Grundobrigkeit vom Soldatendienste 
loskaufte, und daß „der gestrenge Herr Pfleger" dabei mitunter kein schlechtes 
Geschäft machte.^) 
Gegenüber den ständigen Garnisonen kaiserlicher und landständischer Truppen 
trat die Bürgerwehr völlig in den Hintergrund, und fand, während sie sich an 
anderen Orten bis auf unsere Tage erhalten hat, in Gmunden nur mehr als 
Wachmauuschaft anläßlich der Jahrmärkte Verwendung. Gegen das Ende des 
XVIII. Jahrhunderts schwanden dann auch diese Reste einer eigenen städtischen 
Wehrkraft und erst die Ereignisse des Jahres 1848 haben uns in der „National¬ 
garde" vorübergehend eine Erinnerung an die alte Bürgerwehr geschaffen. Ebenso 
hat sich der in Gmunden seit jeher bestandene, aus der alten Schützengenossenschaft 
hervorgegangene „Schützenverein", welcher die Schießstätte seit 1879 beim 
Hause Nr. 11 der Plentznerstraße besaß, im Herbste 1890 freiwillig aufgelöst. 
Wie die alte Bürgerwehr, so sind auch die Befestigungswerke der Stadt bis 
auf geringe Spuren einstiger Widerstandsfähigkeit allgemach verschwunden. Zuerst 
wurde der Stadtgraben friedlichen Zwecken zugeführt; man verwendete ihn zum Theile 
als Aufbewahrungsort städtischer wie auch privater Geräthschaften. Vom Jahre 1807 
angefangen wurden die Stadtgrabengründe im Ausmaße von 2600 Quadralklaftcrn 
(93 a 52 »»*), welche bis dahin nur dem Graswuchse Raum geboten hatten, nach 
und nach parcellirt und an verschiedene Parteien zur Anlage von Zier- und Nutz-
	        
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