Volltext: Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten

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Zwischen Schongauer und Dürer hebt sich der Meister des Amster 
damer Kabinetts (oder des Hausbuches, auch von 1480 genannt) als der 
bedeutendste Vertreter der deutschen Stechkunst im XV. Jahrhundert hervor; 
er nimmt aber nicht eigentlich eine vermittelnde Stellung zwischen den beiden 
Heroen ein, sondern stellt sich in seiner genialen Originalität abseits von ihnen. 
Seinen Namen verdankt er dem Umstande, daß der größte Teil seiner überaus 
seltenen, meist nur in einem oder zwei Exemplaren erhaltenen Stiche im Kupfer 
stichkabinett zu Amsterdam aufbewahrt wird. Die Kostüme seiner Figuren zeigen 
ihn im letzten Viertel des XV. Jahrhunderts tätig. Man hielt ihn früher für 
einen Niederländer, aber nicht nur der Stil seiner Kunst weist deutlich auf die 
Gegend von Schwaben oder den Mittelrhein hin, sondern auch einzelne äußere 
Umstände. Von den zahlreichen Holzschnitten, deren Vorzeichnungen nach 
neuerer Annahme von unserem Meister herrühren sollen (s. oben), vermag ich 
in keinem einzigen seinen persönlichen Stil zu erkennen. Dagegen darf man 
ihm mit Sicherheit eine Reihe von Zeichnungen in dem sogenannten „Mittel 
alterlichen Hausbuche“ in Wolfegg zuschreiben. Er ist ebenso als der Maler 
einer Anzahl von Bildern aus Mainzer Kirchen erkannt worden, und deshalb 
der Mittelpunkt seiner Tätigkeit in diese Stadt, in der er jedenfalls Schule 
gemacht zu haben scheint, versetzt worden. Daß der Meister des Amsterdamer 
Kabinetts Maler war und ganz als Maler auch den Zeichenstift und den Grab 
stichel handhabt, lassen seine Stiche deudich erkennen. In ihrer Wirkung 
zeichnen sie, sich vor allem, was das XV. Jahrhundert geschaffen hat, durch eine 
bewunderungswürdig fein nuancierte Farbigkeit der Töne aus. Er eilt seiner Zeit 
auch darin voraus, daß er augenscheinlich nicht nur mit dem Grabstichel arbeitet, 
sondern hauptsächlich mit der Nadel in ganz freier Führung die Formen behandelt 
und mit dieser damals ganz neuen Technik der Wirkung der Radierung in den 
tiefen, farbigen Schatten wie in den duftigen Fernen der Landschaft sehr nahe 
zu kommen imstande ist (s. Abb.) 
Ein Drittel seines ungefähr 90 Blätter umfassenden Werkes besteht aus 
Bildern des gewöhnlichen Lebens, das er mit liebenswürdiger Unbefangenheit 
und seltener Schärfe beobachtet hat. Auch die religiösen und allegorischen 
Darstellungen, die unter den Arbeiten des Meisters die Mehrzahl bilden, sind 
von einer tief und zart empfundenen Menschlichkeit erfüllt. Die leichte, skizzen 
hafte Behandlung erhöht den Reiz seiner ungemein lebendigen und empfindungs 
vollen Vortragsweise. Er beherrscht die äußere Form und weiß die charakter-
	        
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