Volltext: Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten

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Gerard bekannt geworden ist, mögen die Reihe dieser Klassizisten des Grab 
stichels schließen. 
Es sind nur wenige unter der großen Schar der französischen Kupferstecher 
dieser Zeit, die der strengen klassischen Grabstichelkunst ganz treu bleiben und 
die Tradition aufrecht erhalten. Die Mehrzahl lenkt, manche wenigstens in 
einem Teile ihrer Werke, von der alten Heerstraße des akademischen Klassizis 
mus in die anmutigen und lauschigen Lustpfade der Modemalerei ein, der die 
Zukunft zu gehören schien, und die jedenfalls den Beifall der Mitwelt in reich 
stem Maße genoß. Der Geist der Zeit und ihre Wünsche finden in der Tat 
auch nicht in den antikisierenden Allegorien und in den repräsentativen Por 
träts der Akademiker ihren Ausdruck sondern vielmehr in den „fetes galantes“, 
den erotischen Schäferszenen ohne bestimmten Inhalt und in der leichten, graziösen 
Ornamentik der Boudoirkünstler. Die leichtfertigen, übermütigen Einfälle des 
Rokoko vertreiben die schwerfälligen, ernst abgewogenen Gedanken des Barock. 
Antoine Watteau ist der erste, der der Lebenslust und Sinnenfreude der 
französischen Gesellschaft die künstlerische Rechtfertigung gibt. Obwohl nicht 
Franzose von Geburt — er ist 1684 in Valenciennes geboren und 1721 bei 
Paris gestorben — obwohl selber körperlich, schwächlich und melancholischen 
Geblüts, trifft er doch wie kein zweiter den echt französischen Ton erotischen 
Getändels, der hors d’oeuvre der Liebe. Er gießt über seine Darstellungen aus 
dem Leben der vornehmen Gesellschaft den verklärenden Schimmer der Poesie. 
Nicht wie die Akademiker läßt er die Menschen als antike Götter oder Göttinnen 
erscheinen; halb wirklich, halb idealisiert in Tracht und Wesen bewegen sie 
sich als Schäfer und Schäferinnen in ungezwungenem Liebesverkehr, in selbst 
vergessendem Wohlgefühl in arkadischen Gefilden. Es sind Wirklichkeiten, 
oft sogar besimmte Szenen aus Komödien, die er darstellt, aber so verwoben 
mitjpoetischen Vorstellungen* so durchleuchtet von Sonnenlicht, so voll heiterer 
Ruhe in der Natur, daß der flüchtige Augenblick wie im Märchen als der er 
träumte Zustand dauernder Glückseligkeit erscheint. Es ist die Stimmung des 
„chanson d’amour“, die im Gegensatz zum epischen oder tragischen Charakter 
der akademischen Künste hier vorherrscht. Die vornehme, ritterliche Zurück 
haltung, die seine Herren und Damen in der Hirten- oder Theaterverkleidung 
auch im intimen Verkehr im Freien bewahren, scheint sein in Wirklichkeit zur 
Enthaltsamkeit wenig geneigtes Publikum besonders entzückt zu haben.
	        
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