Volltext: Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten

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Gestalten, deren jede ein Menschenleben erzählt, jede in ihrer Beschränktheit 
ein echter Typus. Diesem Meisterwerke läßt sich selbst unter Rembrandts 
eigenen Radierungen außer der Landschaft mit den drei Bäumen nichts an 
Geschlossenheit und Tiefe der Wirkung an die Seite stellen, selbst nicht gegen 
ständlich und in der technischen Ausführung ähnliche Blätter wie die wenig 
spätere Predigt Christi (B. <5/, la petite tombe genannt). 
Den radierten Porträts dieser Zeit gibt die farbige Behandlung des Lichtes, 
das in starkem, hellem Strome die glänzenden Tiefen durchbricht und warm und 
weich in die Schattentöne hineinspielt, einen im hohen Grade bildmäßigen 
Charakter. Rembrandt zeigt die Personen jetzt auch meist bis zu den Knieen 
oder gar in ganzer Figur. Der Arzt Ephraim Bonus (B. 278), ein rührendes 
Bild menschlicher Anteilnahme, der Maler Jan Asselyn (B. 277), ein Typus 
frischen, künstlerischen Selbstbewußtseins und der aristokratisch vornehme 
Bürgermeister Jan Six (B. 285) sind alle drei im Jahre 1647 entstanden. Den 
Höhepunkt seiner Kunst, das radierte Porträt zum Gemälde zu runden, bezeichnet 
das ernste Selbstbildnis von 1648 (B. 22, s. Abb.), in dem der schärfste und 
tiefste Beobachter sich selbst bei der Arbeit beobachtet zu haben scheint. 
Das letzte Jahrzehnt in Rembrandts Tätigkeit als Radierer erhält sein Ge 
präge durch die Steigerung der geheimnisvoll phantastischen Stimmung zur 
übernatürlichen Vision von erschütternder Furchtbarkeit, durch die höchste Ver 
einfachung der Motive und der Raumschilderung und die größte Beschränkung 
der technischen Mittel. In den beiden charakteristischen Hauptwerken dieser 
Zeit, in der Kreuzigung von 1653 (die „drei Kreuze“ B. 78) und im Ecce homo 
von 1655 (B. 76), Blättern größten Formates, ist die Behandlung der Platte 
fast eine gewaltsame. Wie es scheint, ohne jede Vorätzung sind die Linien wie 
in höchster Erregung mit gewaltigem Aufwande materieller Kraft in das Kupfer 
eingerissen. Unfaßbar scheint die Bestimmtheit der künstlerischen Vorstellung 
und die Sicherheit der Hand, die eine solche technische Behandlung voraussetzt. 
Die volle Breite und Freiheit der Federzeichnung ist hier zum ersten Male in 
dieser monumentalen Ausdrucksform erreicht, ihre Wirkung durch den Glanz 
der Druckfarbe, durch die sammetartig tiefen Töne des Grates weit übertroffen. 
Man hat gemeint, Rembrandt habe mit dieser Verwertung des Grates die Wir 
kung der damals erfundenen Schabkunst nachahmen wollen. Er hat jedenfalls 
mit seiner kühnen Konzentration der Töne auch das Effektvollste, was jene 
Technik hervorgebracht hat, unendlich weit hinter sich gelassen.
	        
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