Volltext: Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten

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Als das vorzüglichste aller niederländischen Blockbücher, ja als eine der 
glänzendsten Leistungen des frühen Holzschnittes überhaupt muß die erste Aus 
gabe der xylographischen Ars moriendi, der „Kunst zu sterben“, angesehen 
werden. Der Zweck dieses lateinischen Traktates, der sich zu jener Zeit einer 
außerordendichen Beliebtheit erfreut haben muß, war der, den jungen Geist 
lichen als Anleitung für ihre seelsorgerliche Tätigkeit am Bette des Sterbenden 
zu dienen. Die Bilder sollten den eindringlichen Mahnungen der Worte Nach 
druck verleihen und die Einbildungskraft des Predigers unterstützen, vielleicht 
auch den Beichtkindern selber im geeigneten Augenblicke vorgewiesen werden. 
Den auf dem einen Bilde dargestellten bösen Eingebungen des Teufels, denen 
der Mensch in schwerer Stunde ausgesetzt ist, werden immer auf dem folgenden 
Bilde die guten Ratschläge des Engels, der den Menschen vor dem Falle zu 
schützen sucht, gegenübergestellt. Außer dem Schlußbilde, der Agonie, sind es 
fünf Bilderpaare, in denen die verschiedenen Versuchungen, zum Unglauben, zur 
Verzweiflung, zur Ungeduld, zur Uberhebung, zur Habsucht und die Ermahnung 
des Engels, sie zu überwinden, dargestellt sind. 
Von diesem verbreitetsten aller Blockbücher hat sich eine ganze Reihe von 
Ausgaben erhalten, die zum Teil nacheinander kopiert sind, zum Teil auf ver 
schiedene Bearbeitungen des Gegenstandes in Handschriftzeichnungen zurück 
gehen. Das Verhältnis der einzelnen Holzschnittfolgen wird sich kaum mehr 
genau ermitteln lassen. Künstlerisch ist ohne Frage die sogenannte Editio prin- 
ceps oder Weigeliana, die aus der Weigelschen Sammlung in das British Museum 
gelangt ist, an die Spitze der ganzen Reihe zu stellen (s. Abb.). Nach ihr sind 
die meisten anderen, zum Teil niederländischen, zum Teil deutschen Ausgaben 
mit lateinischem oder deutschem Texte und auch mehrere Kupferstichfolgen 
direkt kopiert worden. Einige Ausgaben mit etwas abweichenden Darstellungen 
mögen sich andere Handschriften zum Vorbilde genommen haben. 
Die künstlerische Überlegenheit der Weigelschen ersten Ausgabe über 
alle anderen und infolgedessen auch ihre künstlerische Originalität kann keinen 
Augenblick zweifelhaft sein. Ein hervorragender Künstler aus der Schule Rogers 
van der Weyden, dessen Kunstweise in den Holzschnitten unverkennbar ausge 
prägt ist, hat die im Schema wahrscheinlich schon lange vorher in Miniaturen 
oder Handschrifizeichnungen festgestellten Kompositionen in durchaus selb 
ständiger Weise in lebendige, ergreifende Form gebracht. Die Kunst der per 
spektivisch richtigen, raumgestaltenden Darstellung, die von den Van Eyck zur
	        
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