Volltext: Archäologie der Kunst [6, Hauptbd.] (Hauptb. / 1895)

Kritik und Hermeneutik. (§ 398.) 
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Tod seine freundliche Gestalt. Die Verstorbenen, insoferne sie in der 
Unterwelt keine Ruhe haben und die Überlebenden beunruhigen, also, la 
teinisch ausgedrückt, die Larven, Lemuren u. dgl. sind Skelette oder 
Totenköpfe. 1 ) Diesen zwiespältigen Vorstellungen der Leute steht die 
philosophische Idee der Seele gegenüber, welche man mit dem Schmetter 
ling vergleicht. Die personifizierte Psyche 2 ) ist also ein Mädchen mit 
Schmetterlingsflügeln; eine Art Leben, freilich nur symbolisch, gewinnt 
sie im Verhältnis zu Eros, welcher sie brüderlich liebkost — dieses stellen 
die in der Diadochenzeit erfundenen Gruppen von Amor und Psyche dar 3 ) 
•— oder peinigt. Das Wunder an sich (in Einzelfiguren) tritt als Ver 
wandlung auf. Dieser Ideenkreis, welcher im alexandrinischen Zeit 
alter fleissig gepflegt wurde, ist in der Kunst meist nur anzudeuten. Ak- 
taion z. B. hat in der selinuntischen Metope ein Hirschfell um; die meisten 
Zeichner lassen ihm nach dem Muster des Theaterkostüms Hörner spriessen, 
nach denen er auch wohl greift. 4 ) Doch gab es antike Berninis, welche 
der Übergang des Frauenleibes und Knabenkörpers in einen Strauch reizte, 
und so finden wir die Daphne- und Ampelossage auch mit einer wirklichen 
Verwandlung dargestellt. 5 ) Indes begegnet hier auch ein alter Kunstgriff, 
dass man nämlich den Lorbeer neben Daphne aufspriessen lässt, wie einst 
die Tiere, in welche sich die mit Peleus ringende Thetis verwandelte, 
neben ihr erschienen. 6 ) Da das Wunder meist in dem Eingreifen einer 
höheren Macht besteht, sind alle Szenen hervorzuheben, in denen die Götter 
sichtbar unter den Sterblichen erscheinen; nach homerischer und hesio- 
discher Anschauung ist dies aber eine Gnade, die sie ihren Günstlingen 
erweisen, so dass in alter Zeit schon ihr blosses Verweilen neben einem 
Helden genügt, damit der Beschauer den göttlichen Schutz erkenne, z. B. 
steht Athena oft hinter Herakles, während sie im Aeginetengiebel der 
Griechenseite leicht zugekehrt ist. In der Diadochenzeit verwendet man 
jedoch die zusehenden Götter viel freigebiger, ja sogar an Stelle blosser 
Zuschauer. 7 ) Schon viel früher waren kräftigere Ausdrucksweisen ersonnen 
worden. Aus dem Volksglauben geht der Gedanke hervor, dass der Gott 
schützend seine Hand über etwas hält, wie der Soldat den Schild über 
einen gefährdeten Kameraden. 8 ) Zu einer geschlossenen Gruppe führt die 
1 ) Olfers, Abh. d. preuss. Akad. 1830, 
36; Stephani, CR. 1863, 249 ff.; Treu, de 
ossium humanorum larvarumque apud anti- 
quos imaginibus, Diss. v. Gott., Berlin 1874 
n. AA. 1889, 106 f.; Ricii. Hirsch, de ani- 
marum apud antiquos imaginibus, Lpg. 1889; 
vgl. Petron. 34. 
2 ) A. Conze, de Psyclies imaginibus, Ber 
lin 1855; P. Primer, de Cupidine et Psyche, 
Breslau 1875; Stephani, CR. 1877, 160 ff; 
M. Collignon, essai sur les mon. grecs et 
rom. relatifs au mythe de Psyche, Paris 1877; 
Wolters, AZ. 1884,1 ff.; Furtwängler, Jahrb. 
3, 73 f., Samml. Sabouroff zu T. 135 u. Ro 
schers Lex. 1, 1370 f. 
3 ) s. A. 2; Gruppe auf dem Kapitol (Phot. 
Bruckm. 375). 
4 ) Es scheint noch eine dritte Vorstel 
lung gegeben zu haben, nämlich Hirsch mit 
menschlichem Haupt (Nonn. D. 5, 527 ff.). 
5 ) Daphne: Statue in der Villa Borghese: 
Clarac 540 b, 966 c; vgl. Braun, Ra. 2, 683; 
in Wandgemälden (Helbig 206 ff.) nur an 
gedeutet; Verwandlung der Heliaden: Phi- 
lostr. im. 1, 11; vgl. Roschers Lex. 1, 1984; 
Ampelos?: Gruppe in London (S. 821,4). 
6 ) Overbeck, Gallerie T. 7. 8. 
7 ) S. 668; L. Bloch, d. zuschauenden 
Götter in den rotfigurigen Vasengemälden 
des malerischen Stils, München 1888; vgl. 
Nonn. Dion. 5, 296 ff. 
8 ) Sittl, Gebärden S. 319 ff.
	        
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