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Klassische Kunstarchäologie. II. Geschichte der alten Kunst.
auf die christliche Religion bezüglichen Werke anlangt, 1 ) ist der Gedanke,
dass alles Herrliche auf Erden Gott gebühre, so alt wie das Christentum,
zumal da die Psalmen den Schmuck des Gotteshauses predigten; 2 ) diesem
Zweck konnten alle Künste, die Plastik nicht ausgeschlossen, 3 ) nützlich
sein. Darüber waren allerdings die Ansichten geteilt, ob man die Gott
heit darstellen 4 ) und die Kirchen den Tempeln angleichen dürfe. 5 ) Kunst
feindlich dagegen waren nur Sektierer 6 ) und excentrische Leute wie Ter-
tullian; 7 ) der grosse Bildersturm im oströmischen Reiche ging von Juden
und Arabern aus und führte dann zu einer glänzenden Reaktion unter
Basilios I. (867—886). Die christliche Kunst macht mithin in der Welt
geschichte nicht Epoche, sondern ihre Anfänge bestehen darin, dass die
herkömmlichen Techniken und Typen allmählich immer mehr auf christ
liche Stoffe angewendet werden. Wir haben sogar eine Ehrenstatue für
den Gegenpapst Hippolytus (217—235) zu verzeichnen. 8 ) Im übrigen
machte sich erst das Staatschristentum in der Kunstgeschichte fühlbar.
Nun konnten ja die zahlreichen Koncilien und Synoden gelegentlich auch
die religiöse Kunst mit Vorschriften bedenken 9 ) und die Form, welche
das Christentum am Autokratenhofe erhielt, teilte sich natürlich dem
ganzen offiziellen Schaffen mit; weil also das ideale Leben in der Askese
besteht, gilt asketische Magerkeit für echt christlich 10 ) und, weil der Pro
phet vom Messias sagte, er werde nicht düster noch aufgeregt sein, 11 ) ist
die ideale Miene unbeweglicher Gleichmut, welcher freilich, wie im Leben,
öfters in Säuerlichkeit umschlug. Trotzdem darf man den Einfluss der
Religion nicht überschätzen, denn der grosse Tross, welcher, abgesehen
von den Heuchlern, die offiziellen Konfessionsänderungen hurtig mitmachte,
beliess Askese und Gleichmut den Mönchen und zog für seinen Geschmack
die private Kunst vor; dieses gewöhnlich ignorierte Laientum lassen viele
Gedichte und viele Invektiven der Prediger erkennen. 12 ) Für die äussere
Erscheinung holten sich die feinen Leute ihre Vorbilder ganz anderswo,
z. B. waren unter Justinian Miene und Auftreten der Gothen vorbildlich. 13 )
Bezüglich des Schönheitsideales wollen wir notieren, dass nunmehr die
runde Form des Antlitzes den Vorzug erhält und rabenschwarzes Haar
und durchsichtige Blässe des Gesichtes gefallen. 14 )
373. Wenn nun die offizielle Anerkennung des Christentums in der
Kunstgeschichte keine Epoche macht, wo haben wir sonst ein wichtigeres
J ) Lüdtke, d. Bilderverehrung u. bild
lichen Darstellungen in den ersten christl.
Jahrhunderten, Freiburg 1874.
2 ) ln der alten Liturgie der griechischen
Kirche heisst es: 'Jyiaoov xovg dyancjpxag
Xrjv SV71Q6T16CCCP XOV oYxOV GOV.
3 ) De Rossi, Bcrist. 1887, 186 ff.
4 ) Origenes nannte sie aG/rj^axLGxog ;
zur Zeit des Chrysostomos wurde in Ägypten
darüber verhandelt.
5 ) Cyprian, q. idola dii non sint 9.
6 ) Z. B. Phot. bibl. cod. 114 p. 91 a 4B.
7 ) Idol. 8. 8. 25. c. Hermog. 1.
8 ) Lateran Nr. 228 Ficker.
9 ) Das zweite Konzil von Nicaea (787)
verlangte kirchliche Censur (Labbe, concil.
VII col. 881-2).
10 ) Schönheit ist wie Reichtum in der
Verfolgungszeit ein Hindernis des Martyriums
(Le Blakt, les persecuteurs, Paris 1898,
Kap. 3).
n ) Jesai. 42, 4.
12 ) Hieron. ep. II 9. 17. 20.
13 ) Procop. hist. arc. 7.
14 ) Rundes Gesicht: z. B. Anonymus bei
Boissonade, Anecd. 4, 448 Z. 9; Haar mit
Rabeneiern gefärbt: Mazaris S. 150; kry-
stallene Helle: Legrand zu Digenis Akritas
S. 280; Proportionen des Menschen: Aug.
civ. d. 15, 26 p. 115, 1 ff.