Volltext: Archäologie der Kunst [6, Hauptbd.] (Hauptb. / 1895)

Kap. VI. Die zweite orientalisierende Periode der Weltgeschichte. (§ 325.) 537 
fehlte es an sicherer Kenntnis, was z. B. an dem geraden Muskel zwischen 
Brust und Kabel deutlich hervortritt; 1 ) das Knochengerüst kennt man 
besser, opfert aber die richtige Form des Hüftknochens gerne, um eine 
kelchförmige Kontur des Bauches zu gewinnen. * 2 ) Der schlanken Taille 
wegen wird oft das Kreuz stark eingedrückt. 3 ) Kommt nun noch eine 
übertriebene Schulterbreite hinzu, so ergibt sich ein Missverhältnis der 
beiden Hälften des Rumpfes, das bei weiblichen Figuren doppelt unnatür 
lich ist. Die Formen der Frauenbilder fallen überhaupt durchschnittlich 
schlechter aus, weil die Kenntnis des unbekleideten Körpers ungenügend 
ist; wir verweisen nur auf die unnatürlich langen Unterschenkel, die man 
z. B. an athenischen Bildern der sitzenden Atliena wahrnehmen kann. Die 
Zehen sind, ähnlich wie in Ägypten und dem Orient, parallel gestellt und 
haben platte Nägel. Dass die zweite Zehe der grossen mindestens gleich 
ist und sich an dieselbe anschliesst, konnten die Griechen den Ägyptern 
absehen; aber hier scheiden sich ganz deutlich die Schulen. Nur einige 
Künstler folgen jener fremden Regel; 4 ) manche trennen die beiden bei 
gleicher Länge oder indem die zweite grösser ist, 5 ) dagegen wird in der 
alten Zeit nur ausnahmsweise die grosse Zehe länger gebildet. 6 * ) Für die 
Stilisierung der menschlichen Formen können wir kaum ein passenderes Bei 
spiel als den „Kalbträger“, das Werk eines Künstlers niedereren Ranges, 
anführen. Aber in allem, was der Konvention nicht unterliegt, erscheint 
eine merkwürdige Unsicherheit. Die orientalische Unsitte, dass der Körper 
selbst die Inschrift trägt, dauert noch fort, wenn sich auch letztere nicht 
mehr so vordrängt. 
325. Wie wir oben bei Ägypten eine selbständige Malerei zu er 
wähnen hatten, so stellt sich, neben die monumentale Plastik in Griechen 
land die Malerei, freilich noch nicht gleich berechtigt. Was wir S. 416 f. 
über das Verhältnis von bemaltem Relief und Malerei sagten, gilt voll und 
ganz von den Anfängen der griechischen Kunst. Der Votivstatue steht 
die bescheidenere Votivtafel gegenüber, deren bessere Exemplare man 
in Stein ausführt, wobei das Flachrelief mehr oder weniger Farbe erhält. 
Diese bemalten Relieftafeln staken in den heiligen Bezirken meistens wohl 
an einem Zapfen auf Säulen. 8 ) Malereien auf glatten Steintafeln (S. 417) 
weiss ich aus dieser Periode nicht sicher zu belegen; 9 ) billiger kamen 
gebrannte Thonplatten, auf die ein Maler vor dem Brennen die Farben 
auftrug, zu stehen. Während die zuerst erwähnte Gattung noch spärlich 
Am Apollo von Orchomenos ist der 
gerade Bauchmuskel in fünf Wülste geteilt; 
ähnlich, aber feiner Woltees 226; vgl. das. 
219 u. 212. 
2 ) Z. B. Apollo von Orchomenos. 
3 ) Z. B. Athen Nr. 8. 9. 
4 ) Apollo von Tenea; Basis des Euthy- 
kratides (Bch. 1888 T. 18); naxisches Xoanon; 
Statuette der Ageso. 
B ) Ersteres: parische Sitzfigur, Arch.-ep. 
Mitt. 11, 157; letzteres an Frauenbildern der 
Akropolis. 
6 ) Parische Basis aus Delphi, abg. Ath. 
Mitt. 18, 129; eine Basis im Heraion und 
eine des Mikon gehören in die nächste Pe 
riode. 
7 ) Z. B. Bch. 11, 14 (auf den Schenkeln 
einer Apollostatue). 
8 ) Welckee, alte Denkm. 2,9, 15; Labus, 
museo di Mantova III 7; Schöne, griech. 
Reliefs 14, 67 S. 87; Jahrb. 2, 152, 65. 
fl ) Die rotbemalte Marmorscheibe zu Ehren 
des Arztes Aineios (Athen Nr. 93) ist noch 
nicht veröffentlicht.
	        
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