Volltext: Archäologie der Kunst [6, Hauptbd.] (Hauptb. / 1895)

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Klassische Kunstarchäologie. II. Geschichte der alten Kunst. 
halten oder die Frauen im Gehen ihren langen Rock heben. Die Männer 
blicken uns mit voll aufgeschlagenem Auge an, *) während ein konven 
tionelles immer gleiches Lächeln, das man in der Levante oft beobachten 
kann, ihren Mund umspielt; letzteres ziemt auch der Frau, während sie 
ihr Auge nicht voll zu dem Fremden aufschlägt. Das Lächeln verlässt 
den Edelmann nicht einmal im Kampfe und so lächeln uns die Krieger 
von Olympia an wie Aias seinen Gegner. * 2 ) Übrigens war diese Welt 
durchaus keine, in der man sich langweilt; im Gegenteil nahm man, wie 
Litteratur und Bilder zeigen, das Vergnügen, wo man es fand, wenn auch 
körperliche Übungen, Pferdesport und Jagd obenan standen. 
Früher drehte sich der Streit der Historiker um die Ausdehnung, 
welche die Ansiedlungen der Phöniker in Griechenland einst gehabt hat 
ten. 3 ) Diese Frage ist nur nach den ausdrücklichen Zeugnissen der Alten 
zu entscheiden, aus denen hervorgeht, dass die Griechen nie phönikische 
Kolonien zu erobern hatten; 4 ) als die einheimische Konkurrenz siegte, 
schlossen die Phöniker ihre Faktoreien und gingen still des Weges. Die 
Griechen nannten diese fremden Kaufleute „Sidonier“ oder „Phöniker“, 
ein Name, welcher offenbar in der Handelssprache sowenig eine ethno 
graphische Begrenzung hatte als später der eines „Syrers“; denn wie 
sollten die Griechen unterscheiden, ob der fremde Kaufmann phönikisch 
oder aramäisch sprach, klang doch auch das Kyprische wie eine fremde 
Sprache? Der Handel war nicht einseitig; schon Homer denkt sich den 
Alexander und Menelaos Sidon selbst besuchen. 5 ) Psammetich I. liess 
griechische Kaufleute in das Nilland zu, 6 ) womit ihnen alle produktiven 
Länder erschlossen waren. Dieser lebhafte Warenaustausch drehte sich 
natürlich um die überlegenen Manufakturen des Orients. Aber das Ge 
präge der ganzen griechischen Welt konnte nicht von einigen Handels 
firmen abhängen; die Geschlechter Griechenlands lebten eben in der Haupt 
sache so, wie die Geschlechter aller Länder von den Thoren Ägyptens bis 
zum Arno. Die Griechen spielen eine gute Figur in dem internationalen 
Völkerbunde, trotzdem hätten sie auf diesem Weg nichts anderes erreicht, 
als eine neue Handels- und Industriemacht zu begründen und den Reich 
tum des privilegierten Standes zu erhöhen. Allein die Kurzsichtigkeit der 
Geschlechter störte die in schönen Worten formulierte Staatsordnung; als 
jene dem Kleinbürger, weil er ohnmächtig schien, auch noch das wenige, 
was er hatte, in legalen Formen von Rechtswegen abzunehmen begannen, 
da rüttelten sie die ruhige Bevölkerung auf. Dieselbe warf sich jedem 
Patrizier in die Arme, der ihr gegen seine Standesgenossen Schutz gab, 
und so treten ungefähr gleichzeitig mit den Staatsstreichen in Lydien und 
Ägypten die ersten „Tyrannen“ auf. Die bedeutenderen vermögen sich 
zwei oder drei Generationen lang zu behaupten, was ihnen Zeit gibt, für 
'Etixuifj II. A 389. 
2 ) 11. H 212. 
3 ) Litteratur bei Pöhlmann, griech. Ge 
schichte S. 365 und Busolt. griech. Gesch. 
1 § 5. 
4 ) Semitische Ortsnamen würden eher 
dafür sprechen, dass unter der ursprüng 
lichen Bevölkerung auch semitische Stämme 
gewesen. 
5 ) Vgl. auch Od. o 427. 
6 ) Vgl. Wiedemann, die ältesten Be 
ziehungen zwischen Ägypten und Griechen 
land, 1883.
	        
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