Volltext: Archäologie der Kunst [6, Hauptbd.] (Hauptb. / 1895)

Kap. VIII. Die Baukunst nach Material und Technik. (§ 260.) 
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bildes unter sich. 1 ) Infolge davon war er darauf angewiesen, in den ver 
schiedensten Wissenschaften sich umzusehen. 2 ) In der älteren Zeit ge 
langten derlei in Formeln gefasste Kenntnisse natürlich durch mündliche 
Tradition weiter. Am meisten kommen die Mechanik und die Optik in 
Betracht. Die Wichtigkeit der Mechanik, besonders mit Rücksicht auf 
die Statik, den senkrechten Druck und seitlichen Schub, bedarf keiner 
Auseinandersetzung, wenn auch die frühesten Architekten Lehrgeld be 
zahlen mussten. 3 ) Die Baumeister müssen deswegen die Proportionen der 
Bauglieder, Axenweite, Stufenabstand, Intercolumnien, genau berechnen; 
dies hat wieder zur Folge, dass die landesüblichen Längenmasse sich be 
merkbar machen. Der Tempel Salomos mag ein Beispiel liefern. Er ist 
60 Ellen lang, ein Drittel lang (— Länge der Vorhalle, deren Breite halb 
so gross ist), halb so hoch, und so ist alles proportioniert, ähnlich der 
salomonische Palast. 4 ) Die Gewohnheit des Rechnens führt auch Propor 
tionen ein, die mit der Statik unmittelbar nichts zu thun haben, sondern 
nur auf der Arithmetik oder Geometrie (wie der goldene Schnitt) beruhen. 
Die Optik war wissenschaftlich wenig ausgebildet, nichtsdestoweniger 
mag der Praxis manche Einzelbeobachtung zu gute gekommen zu sein, 
auf welche die erwähnte Anfertigung eines perspektivischen Aufrisses 
führen musste. Die archäologischen Untersuchungen richteten sich auf 
die sogenannte Curvatur der Horizontalen. Es ist nämlich die Beob 
achtung an ägyptischen Bauten 5 ) und dorischen Tempeln gemacht, dass 
lange, gerade sein sollende Linien in der Mitte eine leichte konvexe Kurve 
haben; allerdings findet diese auch eine natürliche Erklärung. 6 ) Zur Optik 
werden wir ausserdem die Entasis und die leise Neigung der Säulen rechnen 
können. Die Akustik gehört ebenfalls in diesen Kreis, weil schon die 
Griechen über diese Wissenschaft der Zukunft nachgedacht haben. Sie 
macht sich dadurch noch bemerkbar, dass Gefässe in die Wand einge 
mauert wurden. 7 ) 
Litteratur: Über die Architekten Klenze, Amalthea 3, 78 ff.; über die Mechanik: 
Geiger, Naturwissenschaften S. 47 ff.; E. Mach, die Mechanik in ihrer Entwicklung, Lpg. 
1883; Proportionen: Vitr. 1, 2, 4; K. Schultz, die Harmonie in der Baukunst I. Han 
nover 1891; Nissen, pompej. Studien S. 71 ff.; Hultsch, Jahrbb. f. Phil. 1881 S. 585 ff. ; 
Dörpfeld, Ath. Mitt. 1882—1890; A. Aures, etude des dimensions du grand temple de 
Paestum, Nimes 1868 f.; Jhst. 13, 37 f.; Babin, Ra. III 17, 347 ff.; Chipiez, Ra. III 19, 1 ff. 
m. Abb.; K. Schultz, Werkmass und Zahlenverhältnisse griechischer Tempel, Hannover 
1893; goldener Schnitt: Fr. X. Pfeifer, der goldene Schnitt, Augsh. 1885 S. 192 ff.; 
Th. Wittstein, der g. Schn, und die Anwendung desselben in der Kunst, Hannover 1874; 
Geometrie und Optik: Yitr. 3, 4, 5; Hofer, Wiener allg. Bauztg. 1838 Nr. 42 f.; Penne- 
thorne, the geometry and optics of ancient architecture, London 1878 f., m. 55 T.; E. Wilde, 
über die Optik der Griechen, Berlin 1832; Wessely, Wiener Studien 13, 312 ff. (über einen 
neuen Fund); Curvatur: F. C. Penrose, two letters on certain anomalies in the con- 
struction of the Parthenon, 1848 und an investigation of the principles of Athenian archi- 
*) Dieses wichtige oft übersehene Ver 
hältnis bezeugen die Bauinschriften, ausser 
dem Pseudo-Kallisthenes (Jul. Val. I 32). 
2 ) Cassiodor (var. 7, 7) empfiehlt Euklei- 
des, Archimedes und Metrohios. Die Archi 
tektur steht nach Maximos von Tyros (12, 4) 
zwischen Tektonik und Geometrie in der Mitte. 
3 ) Über einen Fall des Missglückens 
Ztsch. f. Assyriol. 1, 29. 
4 ) Z. B. Dicke der Säule = Triglyphe = 
Embates Vitr. 1, 2, 4. 
5 ) Z. B. in den Gräbern von Benihassan 
(Rosellini, mon. civ. I p. 70) und in Medi- 
net-Habu. 
6 ) Durm, Baukunst der Griechen 2 168. 
7 ) Kloster des hl. Johannes Karrheas auf 
dem Hymettos: Aocjußdxrjg, Adopviov S. 9; 
vgl. Ilg, Mitt. d. Centralkomm. 1871 S. 79. 
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