Volltext: Archäologie der Kunst [6, Hauptbd.] (Hauptb. / 1895)

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Klassische Kunstarchäologie. I. Denkmälerkunde. 
221. Die Weiterbildung der ornamentalen Figur zur Darstellung einer 
Handlung in Malerei, Gravierung oder Relief können wir hier nicht ver 
folgen; dagegen gehört in eine Darstellung der Ornamentik noch das 
Grenzgebiet der Einzelfiguren, welche Zweck und Bedeutung haben. Der 
Bequemlichkeit halber mag man sie symbolische Zeichen und Figuren 
nennen. Richtiger jedoch ist der griechische Name Apotropaia; denn, 
wie immer sie geartet sind, sie sollen jedes sie erblickende Wesen bösen 
Willens abwehren und in die Flucht treiben. Sie zerfallen aber wieder 
in profane Schreckbilder und in religiöse Symbole. Zu den ersteren mag 
man Löwen, Panther, Stiere, 1 ) Widder und Schlangen rechnen; diese Be 
deutung ist recht deutlich, wenn z. B. Schlangen einen Helm 2 ) oder Schild 3 ) 
zieren oder wenn Löwen ein Thor zu beiden Seiten behüten, wie das von 
Mykene oder das eines phrygischen Grabes. Das Motiv des Doppel- 
Schutzes kommt noch in später Zeit ornamental vor. 4 ) Als Aufsatz eines 
Grabmales ist der Löwe öfter bezeugt 5 ) und erhalten, 6 ) oder es kauern 
an den vier Enden der Sarkophagdeckel kleine Löwen. 7 ) Im ganzen 
schützen jedoch häufiger übernatürliche Wesen gegen böse Geister; der 
Orient hat hier einen reichen Vorrat von Schreckbildern geliefert. Mit 
dem Löwen sind die menschenköpfige Sphinx und der adlerköpfige geflügelte 
Greif verwandt. Über die ursprüngliche Beziehung der ersteren zum 
ägyptischen König an anderer Stelle! Jedenfalls schrieben ihr während 
der zweiten orientalischen Periode die Ägypter schützende Kraft zu. 8 ) 
An Thronen bleibt sie zwar der älteren Idee treu, sonst aber muss man 
sie ebenfalls zu den Apotropaia rechnen, wenn sie z. B. Grabkammern, 9 ) 
Sarkophage 10 ) oder Grabsteine 11 ) behütet. Der babylonische Greif 12 ) ver 
dankt seine grössere Verbreitung dem Umstande, dass er durch eine alte 
Dichtung den Hellenen vertraut und später dem Gotte Apollo als dem 
Schützer der ihm benachbarten Hyperboreer zugeteilt wurde. Es genügt 
hier, auf die wichtigsten Arten seiner Verwendung aufmerksam zu machen. 
Er ist an Helmen oft zu sehen, 13 ) dann an Sarkophagen und Urnen, an 
Gefässen und Geräten aller Art; hier werden Körperteile desselben, wie 
des Löwen, in den Gegenstand selbst eingegliedert, z. B. Greifenklauen als 
Füsse eines Dreifusses. 14 ) Der Greif ziert Tempeldächer 15 ) und Tempel- 
J ) O. Jahn, Ber. d. sächs. Ges. 1885 S. 58 
A. 116; Benndorf, Reisen im südwestl. Klein 
asien 1, 18. 52; an Kohlenbecken: Jahrbuch 
1890 S. 181 f.; Stier hei dem bösen Auge: 
Mosaik B. com. 1890 S. 24. 
2 ) Auf Melos: Ross, Tnselreisen 8, 18. 
3 ) Aigis nach Abbildungen. 
4 ) Vase zwischen zwei abgewendeten 
Löwen: an einem Reliefstein von Salzburg, 
abgeb. Mitt. d. Centralkomm. N. F. 18, 59. 
5 ) Welcher, alte Denkm. 5, 71 ff. 
6 ) Z. B. in Milet aus dem 7. Jahrh. 
(Röhl, inscr. ant. 488), Kerkyra u. ö.; auf 
einer Aschenurne liegend: Conestabile, mon. 
di Perugia T. 76, 2. 
7 ) Z. B. in Golgoi und oft in Etrurien 
(besonders Chiusi); vgl. Usener, de carmine 
quodam Phocaico p. 15, 1. 
8 ) Inschrift aus der 26. Dynastie: Wiede 
mann, Herodots 2. Buch S. 599. 
9 ) Ein Paar aus Chiusi, Dennis , cities 
II 3 318; eine kolossale in Hochrelief an 
einem Felsengrab in Norchia (A. 1832 p. 295. 
1833 p. 29). 
lü ) Z. B. Visconti, M. Pioclem. 5, 22 = 
Overbeck, Gallerie T. 29, 1. 
n ) le Bas, mon. fig. T. 78; Pervanoglu, 
die Grabsteine der alten Griechen S. 80 ff. 
Über die Sphinx vgl. K. Bötticher, Ber. d. 
sächs. Ges. 1854 S. 53 ff. 
12 ) Furtwängler, Greif, in Roschers 
Lexikon I. Sp. 1742 ff. 
13 ) Helm des Perseus und der Athene 
(z. B. auf Münzen von Velia). 
14 ) Von Frejus: Spon, misc. p. 118. 
15 ) In Aigina (Münchn.GlyptothekNr.71).
	        
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