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Die Ostfront. — Russische Märzoffensive.
2. Die Angriffsvorbereimngen der Russen^).
Bis Ende Trotz der schweren Niederlagen und Erschütterungen des Sommers
Februar «ib. jgjg hatte Zar Nikolaus am 2. Januar 1916 beim Feste des Georgs¬
ordens verkündet: „Ich werde nicht Frieden schließen, solange wir nicht
den letzten Feind aus unserm Lande vertrieben haben, und dann nur in
voller Übereinstimmung mit unseren Verbündeten". Dementsprechend be-
reitete die russische Heeresleitung, an deren Spitze seit Sep¬
tember 1915 der Zar selbst mit General Alexejew als Generalstabschef stand,
alles vor, um im Jahre 1916 baldigst mit ganzer Kraft wieder
zum Angriff überzugehen. Als Hemmnis wurde lediglich der
Mangel an Gewehren und die ungünstige Munitionslage anerkannt. Die
Erfolge des Herbstfeldzuges in Wolhynien und Ostgalizien hatten das Ver¬
trauen zum eigenen Können wieder gehoben. Die Sorge, daß die Mittel-
mächte nach dem Siege über Serbien auch Rumänien niederzwingen und
damit den russischen Einfluß auf dem Balkan endgültig ausschalten, viel¬
leicht sogar gegen Odessa angreifen könnten, forderte schnelles eigenes Han¬
deln. So hatte der russische Bevollmächtigte, General Shilinfki, als im
Dezember 19152) in Chantilly über die Offensivpläne für das Jahr 1916
beraten wurde, gemeinsamen Angriff von Italien, vom Balkan und aus
Galizien gegen Österreich-Ungarn vorgeschlagen, wie er schon seit Kriegs-
beginn und vollends seit Italiens Eintritt in den Krieg russischen Wünschen
und Belangen entsprach. Dem Zaren konnte dabei die oberste Befehls-
führung zufallen. Der russische Plan war aber abgelehnt worden. Bei
dieser Besprechung hatte General Shilinski die Heeresstärke für den 1. April
1916 mit 2%Millionen angegeben und damit bewußt übertrieben'). Ver-
mutlich hatte er gehofft, mit diesen Angaben frühzeitige Entlastung durch
Angriff der Westmächte zu erreichen, die seines Erachtens unnötig zauderten.
Als dann aber die völlig selbständig unternommenen russischen Winter-
angriffe in Ostgalizien^) mit Mißerfolg und schweren Verlusten endeten,
zeigte sich gegen Ende Januar ganz offensichtlich, daß Rußland wahrschein¬
lich erst im Juni oder Juli, also nicht früher als die Westmächte, angriffs-
bereit sein werde. Ende Februar veranlaßten indessen die deutschen Erfolge
vor Verdun neuen lebhaften Gedankenaustausch zwischen der französischen
und russischen Heeresleitung.
i) Wichtigste Quellen: Rufs. amtl. Werk: „Strategischer Überblick des Krieges
1914—1918", V. und VI. Teil; R. Walentinow, „Verkehr mit den Bundesgenossen",
I. Teil; Franz. amtl. Werk, Band IV; Sir Alfred Knox: „With the Russian
Arrny, 1914—1917". — 2) Band IX, S. 128; Band X, S. 45 ff. — ->) Walentinow,
a. a. O., S. 87. — *) Band IX, S. 311.